David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die SWP und die Wahlen von 1940

Bandas Behauptung, die SWP habe vor den »linken Roosevelt-Anhängern« kapituliert und sich geweigert, die stalinistische Bewegung als Bestandteil der Arbeiterklasse anzuerkennen, zählt zu den Hauptbestandteilen von Bandas Anklageschrift gegen die amerikanischen Trotzkisten. Er geht sogar so weit zu behaupten, Cannon habe während dieser Anpassung an die »linken Demokraten … in schamloser und unergründlicher Manier zu der Hinrichtung der Rosenbergs« geschwiegen. Darüber hinaus vertritt Banda: »In Cannons Artikeln über den Stalinismus findet sich eine abstoßende politische Gleichgültigkeit gegenüber der Verfolgung der Kommunistischen Partei der USA. Sie bestätigen den Vorwurf, dass er niemals in Betracht zog, die KP als legitimen Bestandteil der Arbeiterklasse anzusehen.«

Um die politische Bedeutung dieser Anschuldigungen gegen Cannon und die SWP zu verstehen, die aus einer Mischung von Lüge und Fälschung bestehen, muss man zurückverfolgen, wo sie historisch zum ersten Mal auftauchten. Sie wurden zum ersten Mal 1953 von den Führern der pablistischen Fraktion in der SWP, Bert Cochran und George Clarke, in einem Dokument mit dem Titel »Die Wurzeln der Parteikrise« erhoben. Cochran und seine Gefolgschaft unterstützten Pablo und setzten sich mit aller Macht dafür ein, die SWP aufzulösen. Als ob sie Banda und die anderen Renegaten in der Workers Revolutionary Party hätten vorwegnehmen wollen, legten sie es darauf an, die trotzkistische Bewegung mit so viel Hohn und Spott wie nur möglich zu überschütten. Sie verulkten die »alte Garde« der SWP als »Museumsstücke« und machten sich über den Anspruch der Vierten Internationale lustig, die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse zu sein.

Unter Hinweisen auf die Größe der stalinistisch geführten Parteien in Europa, den Sturz des Kapitalismus in Osteuropa und den Sieg der chinesischen Revolution unter Mao verurteilten Cochrans Anhänger das »verbohrte Sektierertum« der SWP, das »aus der Unabhängigkeit ein doktrinäres Allheilmittel macht und allen Problemen in der Bewegung mit dem Mystizismus von Glaube und Hoffnung zu begegnen sucht und die Partei in einen Mythos verwandelt«.

Der Grund, weshalb die SWP sich weigere, mit »veralteten Formeln« zu brechen und die fortschrittliche oder sogar revolutionäre Rolle der kommunistischen Parteien anzuerkennen, lag laut Cochran in der »Stalinophobie«, einer schrecklichen Krankheit, und der Kränkste aller Kranken war in seinen Augen Cannon. Um ihre Sache zu untermauern, versuchten die Cochran-Leute nachzuweisen, dass es in der SWP schon seit Jahren einen pathologischen Antistalinismus – d. h. eine Form des Antikommunismus – gegeben und Trotzki bereits 1940 auf diese Krankheit aufmerksam gemacht habe. Sie machten einen riesigen Rummel um die Diskussion – auf die sich auch Banda heute bezieht –, die Trotzki, Cannon und andere SWP-Führer über die Politik der Partei in den Präsidentschaftswahlen führten. Dabei übertrieben und verzerrten sie deren Bedeutung hemmungslos. Ausgehend davon brauten sie die unerhörte Beschuldigung zusammen, die Banda heute nachplappert: Die SWP habe die Verfolgung der amerikanischen Stalinisten durch die US-Regierung gutgeheißen. Die Cochran-Fraktion schrieb:

Unsere Propaganda über den Stalinismus ist in den meisten Fällen so gut wie zusammenhangslos und entbehrt der elementarsten pädagogischen Qualitäten, die in der heutigen Zeit, wo eine anhaltende Hexenjagd stattfindet und Krieg droht, wo die gesamte Presse und alle Organe der bürgerlichen öffentlichen Meinung aus vollem Halse über den Stalinismus kreischen, so notwendig sind. Wir scheinen einzig und allein darauf bedacht zu sein, die Stalinisten bei jeder Gelegenheit anzugreifen, ohne zu berücksichtigen, unter welchen neuartigen Bedingungen und mit welchen dementsprechenden Methoden wir angreifen müssen. Offensichtlich beschränken wir uns darauf, uns von den Stalinisten abzugrenzen – und damit Schluss. Bei dieser Methode ergibt sich das Problem, dass diese Abgrenzung sehr oft unverständlich bleibt oder dass der Unterschied zwischen uns und den bürgerlichen Antistalinisten in einer Flut von Flüchen, Beschimpfungen und unverständlichen Bezeichnungen untergeht.[1]

Cannons Broschüre »Der Weg zum Frieden« (»The Road to Peace«), eine vernichtende Entlarvung der stalinistischen »friedlichen Koexistenz« mit dem Imperialismus, wurde von Cochran und Clarke nachdrücklich abgelehnt:

Die Einstellung ist gegenüber Leuten, die irregeleitet sind und glauben, ihre Bewegung kämpfe wirklich gegen den Imperialismus und werde von diesem verfolgt, derart bissig und unfreundlich, dass sie diese Schrift schon nach dem zweiten Absatz beiseitelegen werden. Bleibt nur die Schlussfolgerung, dass sie für unsere Parteimitgliedschaft geschrieben wurde – wieder ein Fall von maßloser Voreingenommenheit bezüglich mystischer stalinistischer »Gefahren« in unseren Reihen.[2]

Es dauerte nur sechs Monate, und diejenigen, die gegen Cannon wegen seiner »Voreingenommenheit bezüglich mystischer stalinistischer Gefahren« gewettert hatten, spalteten als Teil einer internationalen prostalinistischen und liquidatorischen Tendenz von der Socialist Workers Party. In England hatte sich der Führer der pablistischen Fraktion, John Lawrence, insgeheim der Kommunistischen Partei angeschlossen und versuchte gleichzeitig, die trotzkistische Bewegung von innen heraus zu zersetzen. Die Tatsache, dass Banda Cochrans alte Lüge wieder aufwärmt, Cannon und die SWP hätten sich der »Stalinophobie« schuldig gemacht – ein Begriff, den die Trotzkisten verwendeten, um einen politisch unkontrollierten und theoretisch unausgebildeten Hass gegen den Stalinismus zu bezeichnen, der sich in plumpen Antikommunismus verwandelt –, entlarvt seine eigene Kapitulation vor dem Pablismus. Bandas politischer Skeptizismus und sein völliger Verlust an Vertrauen in den Trotzkismus drückt sich in seiner Behauptung aus, die Vierte Internationale sei unfähig gewesen, die »welthistorische Bedeutung« der chinesischen, jugoslawischen und indochinesischen Revolution und den Sieg der Roten Armee über den Faschismus zu verstehen. Von diesem politischen Standpunkt aus, der dem Stalinismus eine revolutionäre Rolle zugesteht, gerät Banda mit Leichtigkeit in das Fahrwasser der alten pablistischen Verleumdungen. Selbst wenn er sich nicht vorgenommen hatte, die Geschichte zu fälschen, führen ihn seine politischen Auffassungen dahin. Bandas Degeneration ist so weit fortgeschritten, dass er den Trotzkismus allen Ernstes als eine Spielart des stalinophoben Antikommunismus betrachtet – oder, wie die Stalinisten selbst sagen würden: »Linke Form, rechter Inhalt!«

Nachdem wir die Quelle von Bandas Anschuldigungen ausfindig gemacht haben, wollen wir uns ihrem Inhalt zuwenden.

Im Juni 1940, etwa drei Wochen nach dem 24. Mai, dem Anschlag auf Trotzkis Leben durch eine stalinistische Killertruppe der GPU unter der Führung des Malers David Siqueiros, reisten Cannon und einige andere Führer der SWP nach Mexiko, um festzustellen, wie die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden könnten. Vom 12. bis 15. Juni wurden auch Fragen der politischen Perspektiven diskutiert, insbesondere die Militärpolitik der SWP und die Position der Partei in den Präsidentschaftswahlen von 1940. In der Diskussion am 13. Juni zeigte sich, dass die SWP, nachdem sie keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hatte, noch über kein ausgearbeitetes Konzept verfügte, wie sie in die Wahlen eingreifen wollte. In der Arbeiterbewegung war die einzige Alternative zu Roosevelts Kampagne für eine dritte Amtszeit der stalinistische Kandidat, Earl Browder, Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Trotzki schlug vor, die SWP solle Browder kritisch unterstützen, um so eine taktische Wendung hin zu den aufrichtigen einfachen Mitgliedern der KP zu vollziehen. Er wies darauf hin, dass die gegenwärtige Opposition der KP gegen Roosevelts Kriegspläne, die allein darauf beruhte, dass Stalin einen »Nichtangriffspakt« mit Hitler unterzeichnet hatte, der SWP eine Gelegenheit bot, Einfluss unter den stalinistischen Arbeitern zu gewinnen.

Cannon und andere widersetzten sich Trotzkis Vorschlag. Sie argumentierten, dass eine derartig drastische taktische Wende nach Jahren unerbittlicher Opposition gegen die Stalinisten bei der Mitgliedschaft und ihren progressiven Verbündeten in den Gewerkschaften auf Unverständnis stoßen würde. Trotzki gab eine scharfsinnige und aufschlussreiche Kritik der Gewerkschaftsarbeit der Socialist Workers Party, die den Kern der objektiven Probleme traf, mit denen die trotzkistische Bewegung in den USA konfrontiert war. Seit sie 1934 den großen Generalstreik von Minneapolis geführt hatten, kämpften die Trotzkisten darum, in den Gewerkschaften Fuß zu fassen. Die Stalinisten setzten dem einen wütenden und gewalttätigen Widerstand entgegen, wobei sie mit ihren Gangster-Methoden in den Gewerkschaften den allerkorruptesten Bürokraten von der rechten American Federation of Labor (AFL) Konkurrenz machten. Die Trotzkisten waren notwendigerweise gezwungen gewesen, taktische Bündnisse mit nichtstalinistischen Kräften in den Gewerkschaften einzugehen, die sie etwas unbestimmt als »Progressive« bezeichneten. Dies hieß im Allgemeinen, dass diese Kräfte bereit waren, militante gewerkschaftliche Kämpfe zu führen. Der beste Vertreter dieser Kräfte war der Teamster-Führer Patrick Corcoran, der mit dem reaktionären Zunft-Gewerkschaftertum Tobins brach und bis zu seiner Ermordung 1937 gemeinsam mit den Trotzkisten in Minneapolis den Ortsverband Local 544 aufbaute.

Innerhalb des beschränkten Rahmens der gewerkschaftlichen Kämpfe bestand eine prinzipienfeste Grundlage für das Bündnis zwischen SWP und »Progressiven« gegen die Stalinisten, die niemals zögerten, wegen eines plötzlichen Schwenks in der Kreml-Politik die Kämpfe der einfachen Arbeiter zu sabotieren. Doch dieses Bündnis barg auch politische Gefahren. Wie Trotzki erbarmungslos feststellte, betätigten sich diese »Progressiven«, sobald das Wahljahr nahte, als politische Agenten Roosevelts.

Trotzki äußerte die treffende und scharfsichtige Besorgnis, dass das Zögern der SWP, eine scharfe taktische Wende gegenüber den Stalinisten zu vollziehen, zumindest teilweise darauf zurückzuführen sei, dass sie um ihr Bündnis mit den progressiven »linken Roosevelt-Anhängern« in den Gewerkschaften fürchtete. Trotzki warnte die SWP vor dem Fehler, ihr Bündnis mit den Progressiven zu hoch zu bewerten. Aus dieser Analyse der Widersprüche in der amerikanischen Arbeiterbewegung leitete Trotzki einen konkreten Vorschlag für praktische Schritte ab. Er verstand, mit welchen sehr realen Problemen die Kader konfrontiert waren:

Wenn unsere Diskussion nur das Ergebnis hätte, dass wir die Stellung der Stalinisten besser verstehen, dann wäre sie schon sehr fruchtbar.

Unsere Partei hängt von dem Stalinisten-Manöver ebenso wenig ab wie von dem SP-Manöver. Nichtsdestotrotz haben wir dieses Manöver durchgeführt. Wir müssen die Vor- und Nachteile gegeneinander aufrechnen. Die Stalinisten gewannen ihren Einfluss im Verlauf der vergangenen zehn Jahre. Erst gab es eine Depression und dann die gewaltige Gewerkschaftsbewegung, die in der CIO gipfelte. Nur die Zunft-Gewerkschaftler konnten abseits bleiben.

Die Stalinisten versuchten, diese Bewegung auszunutzen, um ihre eigene Bürokratie aufzubauen. Die Progressiven fürchten dies. Die Politik dieser sogenannten Progressiven wird auf der einen Seite dadurch bestimmt, dass sie den Bedürfnissen der Arbeiter in dieser Bewegung entgegenkommen müssen, auf der anderen Seite dadurch, dass sie die Stalinisten fürchten. Sie können nicht dieselbe Politik vertreten wie Green, denn dann würden ihnen die Stalinisten ihre Posten wegnehmen. Sie bestehen in ihrer jetzigen Form, weil sie ein Reflex auf diese neue Bewegung sind, aber sie sind kein direkter Ausdruck der Basis. Sie sind eine Anpassung der konservativen Bürokraten an die jetzige Situation. Es gibt zwei konkurrierende Kräfte, die progressiven Bürokraten und die Stalinisten. Wir sind der dritte Anwärter, der die heutige Stimmung einfangen will. Diese progressiven Bürokraten können sich auf uns stützen, wenn sie Ratschläge für den Kampf gegen die Stalinisten brauchen. Aber die Rolle eines Beraters für einen progressiven Bürokraten ist auf die Dauer nicht gerade vielversprechend. Unsere wirkliche Rolle ist die eines dritten Konkurrenten.

Nun zu der Frage unserer Stellung gegenüber diesen Bürokraten – haben wir eine absolut klare Position gegenüber diesen Konkurrenten? Diese Bürokraten sind Roosevelt-Anhänger, Militaristen. Wir haben versucht, mit ihrer Hilfe in die Gewerkschaften einzudringen. Meiner Meinung nach war das ein korrektes Manöver. Wir können sagen, dass sich die Frage der Stalinisten nebenbei lösen wird, wenn unser Hauptmanöver Erfolg hat. Aber vor der Präsidentschaftskampagne und der Kriegsfrage haben wir noch Zeit für ein kleines Manöver. Wir können (zu den stalinistischen Arbeitern) sagen, Eure Führer verraten Euch, aber wir unterstützen Euch. Dabei haben wir keinerlei Vertrauen in Eure Führung, aber wir wollen Euch zeigen, dass wir zu Euch halten können, und wir wollen Euch zeigen, dass Eure Führer Euch verraten werden.

Das ist ein kurzes Manöver und hängt nicht von der Hauptfrage ab, dem Krieg. Aber es ist notwendig, um die Stalinisten, ihre Stellung in den Gewerkschaften und ihre Reaktion auf unsere Partei unvergleichlich besser kennenzulernen. Es wäre verhängnisvoll, wenn wir uns zu stark darauf konzentrieren würden, auf die Pazifisten und unsere »progressiven« Bürokratenfreunde einen guten Eindruck zu machen. In diesem Fall würden die Bürokraten uns ausquetschen wie Zitronen. Sie benutzen uns gegen die Stalinisten, und wenn der Krieg näher rückt, schließen sie uns aus. Die stalinistischen Arbeiter können revolutionär werden, besonders wenn Moskau seine Linie ändert und patriotisch wird. Damals bei Finnland vollzog Moskau einen problematischen Schwenk; der nächste wird noch schmerzhafter werden.

Aber wir brauchen Verbindung zu ihnen und Informationen. Ich bestehe nicht unbedingt auf diesem Plan, versteht mich recht, aber ein Plan muss sein. Welchen Plan schlagt Ihr vor? Die progressiven Bürokraten und die unaufrichtigen Zentristen in der Gewerkschaftsbewegung sind Ausdruck wichtiger Veränderungen in der Basis, aber die Frage ist, wie kommen wir an die Basis heran? Zwischen uns und der Basis stehen die Stalinisten.[3]

Im Verlauf der weiteren Diskussion betonte Trotzki, der absehen konnte, dass der Kriegsausbruch einen ungeheuren politischen Druck erzeugen würde, immer wieder die Gefahr einer Anpassung an konservative Schichten in den Gewerkschaften.

Du schlägst eine Gewerkschaftspolitik vor, keine bolschewistische Politik … Du befürchtest, Dich in den Augen der Roosevelt-Gewerkschaftler zu kompromittieren. Sie dagegen kümmern sich nicht im Geringsten darum, ob sie sich kompromittieren, wenn sie gegen Dich für Roosevelt stimmen. Wir befürchten, uns zu kompromittieren. Wenn man sich fürchtet, verliert man seine Unabhängigkeit und wird zum halben Roosevelt-Anhänger. In Friedenszeiten ist das keine Katastrophe. Im Kriegsfall macht es uns unglaubwürdig. Dann können sie uns zerschmettern. Unsere Politik ist mehr, als die Roosevelt-Gewerkschaftler verkraften können. Daran passt sich der »Northwest Organizer« an. Wir haben schon früher darüber diskutiert, aber es wurde kein Wort darin verändert, kein einziges Wort. Eine Gefahr – eine furchtbare Gefahr – droht uns in Form einer Anpassung an die Roosevelt-Anhänger in den Gewerkschaften.[4]

Trotzki wurde ohne Umschweife gefragt, ob er den Eindruck habe, es gebe in der Arbeit der SWP ein Element der Anpassung an die Bürokratie.

Ich denke, in einem gewissen Maße schon. Ich kann das Geschehen nicht nah genug verfolgen, um ganz sicher zu sein. Dieser Teil unserer Arbeit schlägt sich im »Socialist Appeal« nicht deutlich genug nieder. Es wäre sehr gut, wenn wir ein Bulletin für kontroverse Artikel über unsere Gewerkschaftsarbeit hätten. Beim »Northwest Organizer« konnte ich in einer ganzen Periode nicht die geringste Veränderung ausmachen. Er bleibt nach wie vor unpolitisch. Das ist ein gefährliches Symptom. Ein weiteres gefährliches Symptom ist, dass die Arbeit in Bezug auf die stalinistische Partei völlig vernachlässigt wird.

Eine Hinwendung zu den Stalinisten muss keine Abwendung von den Progressiven bedeuten, sondern hieße nur, dass wir den Stalinisten die Wahrheit sagen und sie vor ihrem nächsten Schwenk abfangen sollten.

Mir scheint, es gibt eine Art passive Anpassung an unsere Gewerkschaftsarbeit. Das ist keine unmittelbare Bedrohung, aber eine ernstzunehmende Warnung, dass wir einen Richtungswechsel vornehmen müssen. Viele Genossen interessieren sich mehr für Gewerkschaftsarbeit als für Parteiarbeit. Wir brauchen einen festeren Zusammenhalt in der Partei, eine schärfer abgezirkelte Wendigkeit, ernstere, systematische, theoretische Ausbildung, andernfalls können die Gewerkschaften unsere Genossen verschlingen.

Es ist ein historisches Gesetz, dass die Gewerkschaftsfunktionäre den rechten Flügel der Partei bilden. Das gilt ausnahmslos. Es galt für die Sozialdemokratie und auch für die Bolschewiki. Tomski stand auch auf dem rechten Flügel, wisst ihr. Das ist ganz natürlich. Sie haben es mit der Klasse zu tun, mit rückständigen Elementen; sie sind die Vorhut der Partei in den Gewerkschaften. Notwendigerweise finden in den Gewerkschaften Anpassungsprozesse statt. Für die Leute in den Gewerkschaften ist diese Anpassung ihr täglich Brot. Aus diesem Grund spiegelt sich der Druck der rückständigen Elemente immer in den Genossen, die in den Gewerkschaften arbeiten. Dieser Druck ist heilsam, aber er kann sie auch von den historischen Klasseninteressen losreißen – dann können sie zu Opportunisten werden.

Die Partei hat beachtliche Fortschritte erzielt. Diese Fortschritte wurden durch ein gewisses Maß an Anpassung erst ermöglicht, andererseits aber müssen wir Maßnahmen treffen, um mit den unvermeidlichen Gefahren fertig zu werden.[5]

Wenn jemand versucht, Trotzkis Eingreifen so hinzustellen, als habe er die SWP und Cannon in Grund und Boden verdammt, dann ist das eine Karikatur auf die historische Objektivität. Im Verlauf einer Diskussion über die Politik der Partei im Wahlkampf 1940 erläuterte Trotzki die grundlegenden Widersprüche, die sich notwendigerweise aus der tatsächlichen Entwicklung und den politischen Fortschritten der SWP ergaben. Diese Fortschritte wären, wie Trotzki erklärte, ohne eine Orientierung hin zu den »Progressiven« und ohne eine gewisse Anpassung nicht möglich gewesen. Aber diese notwendige Anpassung, die in der einen Periode positiv war, entwickelte jetzt, unter den neuen Bedingungen des herannahenden Kriegs, negative Seiten, die eine taktische Wende erforderlich machten.

Trotzki überzeugte Cannon nicht von seinem Vorschlag in Bezug auf Browder. Das war eine zweitrangige taktische Frage, und Trotzki kümmerte sich nicht mehr darum. Es steht aber außer Frage, dass die Warnung vor einer möglichen Anpassung an die »Progressiven« ernst genommen wurde. Trotzki schrieb sogar wenige Stunden vor dem tödlichen Anschlag des GPU-Agenten Ramón Mercader einen Brief an ein SWP-Mitglied in Minneapolis, in dem er begrüßte, wie sich der »Northwest Organizer« – die von der Partei kontrollierte Zeitung des Ortsverbandes Local 544 – verändert hatte: »Der Northwest Organizer wird präziser – aggressiver – politischer. Wir hatten unsere Freude daran.«[6]

Einen Monat nach Trotzkis Tod informierte Cannon auf einer Parteikonferenz die Mitgliedschaft über die Differenzen, die während der Diskussionen im Juni aufgekommen waren. Er wiederholte, dass er den Vorschlag mit Browder nach wie vor ablehne, anerkannte aber die Notwendigkeit einer forscheren Kampagne, um in die Reihen der Stalinisten einzudringen. Er griff den Hauptpunkt in Trotzkis Argumentation auf und hielt Rückschau über das Problem der »Progressiven«.

Cannon verteidigte die Rechtmäßigkeit eines Blocks mit diesen Kräften gegen die Stalinisten, räumte aber ein, dass

unsere Gewerkschaftsarbeit bisher hauptsächlich von einem Tag auf den anderen geplant wurde, sich nur auf die Tagesprobleme gründete, wobei ihr die allgemeinpolitische Orientierung und Perspektive abging. Dies führte dazu, dass der Unterschied zwischen uns und den reinen Nur-Gewerkschaftlern oft verschwamm. In vielen Fällen schienen sie zeitweilig eins mit uns zu sein. Es waren sonnige Zeiten, und man war unter guten Kollegen. Die großen Fragen, die der Krieg mit sich bringt, zerstören gewaltsam diese Idylle. Einige unserer Genossen sind bereits durch aufschlussreiche Erfahrungen gegangen, wie eine Kriegssituation alle Zweideutigkeiten beseitigt und den wirklichen Charakter der Menschen zum Vorschein bringt. Einige Leute haben sich fast ausnahmslos unseren Vorschlägen zur Verbesserung der Gewerkschaften angeschlossen, um bessere Verträge mit den Bossen zu bekommen usw. Dann aber wird diese friedliche Gewerkschaftsroutine auf einen Schlag von den gewaltigen Fragen des Kriegs, des Patriotismus, der Wahlen usw. zerstört. Und all diese Gewerkschaftler, die in normalen Zeiten einen so guten Eindruck machten, treten als Patrioten und Roosevelt-Anhänger auf. Die Grundlage, auf der wir mit ihnen zusammenarbeiten können, hat sich sehr verengt.

… Politisch gibt es für uns keine Grundlage, mit den »Progressiven« zusammenzuarbeiten. Mit der Zeit, mit zunehmendem Druck der Kriegsmaschinerie, wird sie immer enger werden.[7]

Die weitere Entwicklung – die Verfolgung unter dem Smith-Act 1941 und der Kriegsausbruch – bewiesen, dass die SWP durchaus bereit war, in politischen Prinzipienfragen gegen die »Progressiven« zu kämpfen und mit ihnen zu brechen. Die Rückkehr der KP zu einer patriotischen Position nach der Nazi-Invasion in die Sowjetunion im Juni 1941 rief gleichzeitig keine ernsthafte Krise in den Reihen der Stalinisten hervor. Aber die Tatsache, dass die SWP nicht die Schwächen aufwies, vor denen Trotzki gewarnt hatte, und dass die Mitgliedschaft der amerikanischen Stalinisten noch weniger revolutionäres Bewusstsein an den Tag legte, als er für möglich erachtet hatte, mindert im Nachhinein nicht die Bedeutung seines Eingreifens. Trotzki war ein marxistischer Dialektiker und kein Astrologe. Er kämpfte darum, eine revolutionäre Führung zu erziehen und ihr seine eigene, reichhaltige und einmalige Erfahrung nutzbar zu machen.

Es ist eine lächerliche Karikatur auf Trotzkis Methode, wenn Banda die Diskussion zwischen Trotzki und der SWP im Juni 1940 als eine entsetzliche Konfrontation darstellt, in der das bloße Bestehen einer Meinungsverschiedenheit unwiderruflich, unfehlbar und ein für alle Mal bewies, dass die SWP nichts taugte, und, wo wir schon dabei sind, alle nichts taugten, mit denen Trotzki zusammenarbeitete. In Wirklichkeit war diese Diskussion von hohem erzieherischen Wert. Sie war ein Beispiel für die unvergleichlich positive Rolle Trotzkis als theoretischem Führer der internationalen Bewegung. Wären in früheren Zeiten schon Stenografen bei ähnlichen Gelegenheiten zugegen gewesen, dann würden sich zweifellos in den Archiven von Marx, Engels und Lenin ähnliche Diskussionen finden. Wie aus ihrem Briefwechsel hervorgeht, hielt es Marx in einigen Fällen für notwendig, seinen »lieben Fred« zu korrigieren, besonders seine Einschätzung über die Aussichten des Nordens im amerikanischen Bürgerkrieg. Zufällig kennt Banda diese Briefe. (Zumindest vorläufig ist uns ein vernichtendes Urteil über Engels wegen seiner »schamlosen Kapitulation« vor Stonewall Jackson erspart geblieben.) Wenn Banda nicht begreifen kann, in welchem politischen Umfeld sich diese Diskussionen entfalteten, und in ihnen nichts anderes zu erkennen vermag als Vorboten einer drohenden Spaltung, dann liegt das daran, dass ernsthafte Diskussionen über politische Differenzen in der WRP mehr als zehn Jahre lang nicht möglich waren.


[1]

James P. Cannon, Speeches to the Party, New York 1973, S. 361.

[2]

Ebd., S. 362.

[3]

Leon Trotsky, Writings of Leon Trotsky [1939–40], New York 1973, S. 266–267.

[4]

Ebd., S. 273.

[5]

Ebd., S. 280–281.

[6]

Ebd., S. 394.

[7]

James P. Cannon, The Socialist Workers Party in World War II: James P. Cannon Writings and Speeches, 1940–43, Hrsg. Les Evans, New York 1975, S. 89–90.