David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die Vierte Internationale nach dem Krieg

Manche Behauptungen Bandas sind so grotesk, dass man annehmen könnte, er habe Teile seiner »27 Gründe« unter Drogeneinfluss geschrieben. Aus heiterem Himmel behauptet er: »Auffallend an dem Zweiten Kongress von 1948 war seine kurzsichtige Überzeugung, der Imperialismus sei immer noch stabil und der Stalinismus unerschüttert.« Wem ist das aufgefallen?

In dieser Methode ist Banda Fachmann. Er fällt ein bizarres und provokatorisches Urteil über einen ganzen Weltkongress, ohne auch nur ein einziges seiner Dokumente zu analysieren. Wir haben bereits festgestellt, dass die vorangegangenen vier Jahre von einem Kampf gegen jene revisionistischen Elemente in der Vierten Internationale beherrscht gewesen waren, die jede Aussicht auf eine sozialistische Revolution zurückwiesen.

Wir wollen uns einen kurzen Überblick über das »Manifest des Zweiten Kongresses« verschaffen, um zu sehen, wie es der Überzeugung, »der Imperialismus sei immer noch stabil und der Stalinismus unerschüttert«, Ausdruck verlieh: »Unter der bleiernen Schale schreitet der Zersetzungsprozess des Kapitalismus ungebremst fort. Das System windet sich unter den Schlägen sozialer Explosionen, die zu einem Weltbrand führen werden. Das ›höchste‹ Stadium der kapitalistischen Organisation erweist sich als die Organisierung eines blutigen Chaos, durch das die kommunistische Revolution auf die Tagesordnung gesetzt wird.«[1]

In dem Dokument hieß es, dass

die Vereinigten Staaten ihre Macht und ihren Reichtum auf Kosten von Stagnation und Niedergang der übrigen kapitalistischen Welt gewinnen. Dieser Niedergang seinerseits fällt unerbittlich auf die Vereinigten Staaten zurück …

Wirtschaft, Politik und Kultur in Amerika weisen alle Anzeichen einer kommenden Krise auf. Die furchtbare Last der öffentlichen Verschuldung verschlingt die Reserven des Landes. Die Nation ist einem rasenden Fieber von Inflation, Spekulation und unproduktiven Investitionen, wie es jeder schweren Finanzkrise vorangeht, verfallen.[2]

In einer prophetischen Analyse der internationalen Rolle der USA erklärte das »Manifest«:

Kaum dass die amerikanischen Imperialisten aus ihrem Provinzlertum erwacht sind, stehen sie schon vor der Aufgabe, das Kapital auf allen fünf Kontinenten zu schützen … Der britische Imperialismus konnte seine Vormachtstellung in der Welt allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke aufrechterhalten. Der amerikanische Imperialismus von heute muss in jedem Land Söldnerarmeen unterhalten. Die britischen Kapitalisten konnten in der Periode ihres Aufstiegs ihre eigene Arbeiterbewegung mit den Krumen ihrer weltweiten Profite korrumpieren. Aber der Yankee-Imperialismus in der Periode des kapitalistischen Niedergangs kann seine Weltherrschaft nicht errichten, ohne sein eigenes Land völlig zu militarisieren und sein eigenes Proletariat zu Hause zu zerschlagen. Aus diesem Grund dient die Weltoffensive des amerikanischen Imperialismus gleichzeitig der Erziehung des amerikanischen Proletariats in internationaler Politik. Die durch die amerikanische Krise freigesetzten Kräfte werden sich in direkter Opposition zur imperialistischen Politik der Wall Street zusammenschließen. Die amerikanische Arbeiterklasse wird erstmals von Angesicht zu Angesicht mit ihrer kommunistischen Bestimmung konfrontiert sein.[3]

Was die Frage des Stalinismus angeht, so musste der Kongress zum ersten Mal die Ausweitung des sowjetischen Einflusses nach Osteuropa bewerten. Diese Frage sollte bald zu einer Auseinandersetzung in der Vierten Internationale führen, aus der Pablos grundlegende Revisionen des Trotzkismus hervorgingen.

Rückblickend kann man heute in bestimmten Formulierungen schwache Andeutungen der Differenzen ausmachen, die fünf Jahre später auftreten sollten. (In ähnlicher Weise stellte Lenin nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dem Verrat der Zweiten Internationale rückblickend fest, dass gewisse Formulierungen Kautskys in Dokumenten, die die Bolschewiki früher für orthodox gehalten hatten, revisionistische Schlussfolgerungen in sich bargen.)

Die Delegierten des Zweiten Kongresses hatten aber weder Kristallkugeln noch Wünschelruten. Die Analyse des Stalinismus war in ihren Grundzügen richtig. Das »Manifest« betonte die Widersprüche, die dem Anwachsen des stalinistischen Einflusses in der Periode nach dem Krieg zugrunde lagen.

Angesichts der Resultate der bürokratischen Expansion bestaunen einige kurzsichtige kleinbürgerliche »Theoretiker«, die jeden Glauben an die proletarische Revolution verloren haben, mit offenem Munde die »Erfolge« des »stalinistischen Realismus«. »Ist nicht die Verstaatlichung auf ganz Osteuropa ausgeweitet worden?« fragen sie.

Andere, durch die »wachsende Stärke« des Stalinismus in Angst und Schrecken versetzt, sehen in ihm eine neue Ausbeutungsgesellschaft, die sich der Weltherrschaft nähert. Die Hysterie auf beiden Seiten verträgt sich erstaunlich gut mit der stalinistischen Propaganda und ist ein Ergebnis eines äußerst vulgären Impressionismus.

Stalins »sozialistische Errungenschaften« in Osteuropa wurden ihm in Wirklichkeit in Teheran, Jalta und Potsdam zugestanden. Als Gegenleistung für diese »Errungenschaften« verriet Stalin den indischen Aufstand im August 1942, ordnete die Entwaffnung der Partisanen in Griechenland an, lieferte die Massenbewegung in Frankreich an de Gaulle aus, brachte die taumelnde Bourgeoisie in allen westeuropäischen Ländern an die Macht zurück und half, das deutsche Proletariat zu zermalmen.

Durch seine niederträchtigen Praktiken – Demontage, Plünderung, Deportation und Terror – rief Stalin in der Weltarbeiterbewegung zutiefst feindselige Stimmungen gegen die Sowjetunion hervor, was Hitler nie gelungen war. Das ist die eindrucksvolle Bilanz der stalinistischen »Siege« …

Stalin hat die Atempause, die er sich verschaffte, zu den abscheulichsten Verbrechen genutzt. Welche weiteren Erfolge er auch noch erzielen mag, er steuert doch direkt in seinen Untergang.[4]

Das »Manifest« wies die Behauptung, dass der Stalinismus die einzige Alternative zum Imperialismus sei, zurück:

Die Stärke des Stalinismus in der Arbeiterbewegung entspringt der materiellen Stärke seines Apparats in Verbindung mit der revolutionären Tradition der Vergangenheit, die er in den Augen der breiten Massen immer noch repräsentiert. Die Tradition ist eine der lähmendsten Kräfte der Geschichte, wie schon Engels vor hundert Jahren gesagt hat. Um dem Stalinismus die Führung der Arbeiterklasse zu entreißen, muss man da weitermachen, wo die Sozialdemokratie und der Stalinismus aufgehört haben. Man muss mächtige Arbeiterorganisationen aufbauen. Man muss eine neue Generation revolutionärer Arbeiterkader erziehen, die sich durch zahlreiche Kampferfahrungen in der Arbeiterklasse verankern und ihren Respekt und ihr Vertrauen gewinnen. Man muss eine aufrichtige Partei aufbauen, die durch immer breiter angelegte Aktivitäten schließlich in allen Massenbewegungen als die wirkliche Alternative zu den bankrotten Führungen in Erscheinung tritt. Unbeirrbares Festhalten an ihrem revolutionären Programm, Orientierung hin zu den ausgebeutetsten Schichten der Gesellschaft, völliges Vertrauen in die zutiefst revolutionäre Kampfkraft des Proletariats – das sind die Mittel, mit denen die Vierte Internationale schließlich das stalinistische Hindernis in der Arbeiterbewegung vernichten wird.[5]

Diese Perspektive war weit von dem revisionistischen Programm entfernt, mit dem Pablo später den Kader der Vierten Internationale im stalinistischen Apparat aufzulösen versuchte. Das Ausmaß dieser späteren politischen Wandlung in der Linie der Vierten Internationale und das Tempo, mit dem sie sich entwickelte, zeigen die Notwendigkeit, die objektiven Veränderungen in den gesellschaftlichen Beziehungen auf internationaler Ebene einer historisch-materialistischen Analyse zu unterziehen und festzustellen, wie sie sich innerhalb der trotzkistischen Bewegung politisch widerspiegeln.

Banda stellt eine weitere merkwürdige Behauptung über den Zweiten Kongress auf: »Im Falle von Israel, einer zentralen Frage, wandte sich die VI weder gegen die Errichtung dieser zionistischen Enklave noch forderte sie deren Sturz. Stattdessen beugte sie sich Mandels zionistischen Neigungen, rief entwaffnend zu Einwanderungsbeschränkungen auf und fand mit dieser Forderung bereitwillige Unterstützung bei den Stalinisten und den Labour-Linken!«

In Wirklichkeit wandte sich die Vierte Internationale konsequent gegen die Errichtung eines zionistischen Staats im Nahen Osten. Das war eine der Fragen, die die SWP von Shachtmans Gruppe und Felix Morrow trennte. Die SWP hatte während des Zweiten Weltkriegs unermüdlich eine Kampagne für die unbeschränkte Einreise von Juden in die USA geführt, wandte sich aber gegen die jüdische Auswanderung nach Arabisch-Palästina, da sie ausgenutzt werden sollte, um einen antiarabischen Brückenkopf der Imperialisten zu schaffen. Morrow lehnte diesen Standpunkt der SWP ab und folgte damit Shachtman, der Zugeständnisse an den Zionismus machte.

In einer Resolution des Zweiten Kongresses hieß es:

Die Vierte Internationale weist die »zionistische Lösung« der jüdischen Frage als utopisch und reaktionär zurück. Sie erklärt, dass eine vollkommene Ablehnung des Zionismus die notwendige Bedingung ist, um die Kämpfe der jüdischen Arbeiter mit den sozialen, nationalen und Befreiungskämpfen der arabischen Werktätigen zu vereinen. Sie erklärt, dass die Forderung nach jüdischer Einwanderung in Palästina durch und durch reaktionär ist, wie es überhaupt reaktionär ist, die Einwanderung von unterdrückenden Völkern in Kolonialländer zu fordern. Sie ist der Auffassung, dass die Frage der Einwanderung sowie die Beziehung zwischen Juden und Arabern erst dann angemessen gelöst werden können, wenn der Imperialismus durch eine frei gewählte verfassungsgebende Versammlung vertrieben wird, in der die Juden als nationale Minderheit volle Rechte genießen.[6]

In »The Militant« und anderen Publikationen der Vierten Internationale finden sich zahllose Artikel, die den Zionismus und das Ziel eines zionistischen Staats in Palästina verurteilen. Mit der Ablehnung der jüdischen Einwanderung im April 1948 – nur einen Monat vor der Ausrufung des Staats Israel – stellte sich die Vierte Internationale unmissverständlich gegen die zentrale Forderung der Zionisten, die ihren Plänen zur Errichtung eines Stützpunkts für den US-Imperialismus im Nahen Osten den letzten Schliff gaben.

Bandas Bemerkung über Mandels »zionistische Neigungen« im Jahr 1948 hat also keine faktische Grundlage, es sei denn, Banda leitet diese »Neigungen« aus Mandels familiärer Herkunft ab. Es ist außerdem eine Verleumdung der Vierten Internationale, so zu tun, als begründe sie ihre politische Linie auf persönliche »Neigungen« – wollte man für einen Augenblick annehmen, es hätte sie tatsächlich gegeben.

Als Nächstes versucht Banda auszuschlachten, dass eine Abspaltung von Shachtmans Workers Party, die Johnson-Forrest-Tendenz, wieder in die SWP aufgenommen wurde. »Wieder auf Mandels Drängen hin«, so erklärt er, »wurde die Theorie des Staatskapitalismus für mit dem Trotzkismus vereinbar erklärt. Dies war eine unerhörte Zurückweisung von Trotzkis Kampf gegen Burnham und Shachtman.«

Es war nichts dergleichen. Auch diese Episode kann, wie jedes andere Ereignis in der Geschichte der Vierten Internationale, nicht außerhalb ihres politischen Zusammenhangs verstanden werden. Jeder, der die Dokumente der Auseinandersetzung von 1939–1940 studiert hat, weiß, dass Trotzki ausdrücklich dagegen war, wegen Shachtmans Position zum Klassencharakter der UdSSR zu spalten. Er betonte, dass eine Minderheit innerhalb der Vierten Internationale das Recht habe, eine solche Position zu vertreten, solange sie sich an die demokratisch-zentralistische Disziplin der Organisation halte. Shachtman weigerte sich, diese Bedingung zu erfüllen, und spaltete von der SWP.

Wir haben bereits festgestellt, dass diese Spaltung einen grundlegenden Charakter hatte. Die entgegengesetzten Klassentendenzen und die damit verbundenen unversöhnlichen Differenzen über theoretische, politische und organisatorische Fragen waren offen ans Licht gebracht worden. Aber mit der Spaltung von 1940 war das Problem der Shachtman-Tendenz in der Arbeiterbewegung nicht ein für alle Mal gelöst, schon gar nicht in den USA. Shachtmans Gruppe behauptete nach wie vor, der Vierten Internationale anzuhängen. Die gescheiterten »Vereinigungsdiskussionen« zwischen 1945 und 1948 spielten daher eine wichtige Rolle. Sie erbrachten den Nachweis, dass Shachtman, obwohl er das Gegenteil behauptete, eine dem Trotzkismus feindliche Tendenz vertrat.

Bei den Manövern, die diese Diskussionen begleiteten, machte die SWP zweifellos einige taktische Fehler, die sicherlich eine gewisse theoretische Verwirrung in ihrer Führung widerspiegelten. Ihre Neigung, Shachtmans Behauptung, eine Vereinigung wäre nach Lösung der anstehenden organisatorischen Probleme möglich, zu viel Glaubwürdigkeit zuzuschreiben, barg Gefahren in sich.

Im Februar 1947 legten Cannon, Morris Stein und George Clarke dem Nationalkomitee der SWP eine Resolution vor, die besagte, dass eine Vereinigung mit der Workers Party in Aussicht sei. Sie akzeptierten Shachtmans Behauptung, seine Organisation sei bereit, »ohne Vorbehalte oder Bedingungen die Beschlüsse der für Herbst geplanten Parteikonferenz anzunehmen und ihrer Disziplin sowohl politisch als auch organisatorisch zu folgen«.[7]

Innerhalb weniger Wochen stellte sich allerdings heraus, dass die SWP den scheinbaren »Linksschwenk« der Shachtman-Gruppe hin zu einer prinzipiellen Einheit falsch eingeschätzt hatte. Cannon räumte später ein:

Ich denke, dass ich und einige andere einen Fehler gemacht haben, als wir die Wende der Shachtman-Gruppe im Februar unbesehen für bare Münze nahmen und nicht genügend berücksichtigten, dass sie sich ebenso in die entgegengesetzte Richtung wenden könnte … Wir haben den kleinbürgerlichen, zentristischen Charakter dieser Gruppe nicht genügend in unsere Überlegungen einbezogen und ihren Linksschwenk nicht mit den notwendigen Vorbehalten, der nötigen Vorsicht und der Erwartung auf einen neuen Rechtsschwenk aufgenommen.[8]

Auf ihrer Vollversammlung im Februar 1948 verzeichnete die SWP den Zusammenbruch aller Vereinigungsgespräche mit der Workers Party. Die entsprechende Erklärung stellte fest:

Die Ablehnung der Vereinigung stellt die Mitglieder der WP vor die Wahl zwischen einer perspektivlosen revisionistischen Zukunft und der Rückkehr zu den Lehren des revolutionären Marxismus und der Bewegung. Wer in unserem Land eine wirklich revolutionäre Arbeiterpartei nach trotzkistischen Richtlinien aufbauen will, hat keine andere Wahl, als diese bankrotte kleinbürgerliche Gruppe zu verlassen und sich der SWP anzuschließen.[9]

Der Zweite Kongress der Vierten Internationale schlussfolgerte aus den Erfahrungen mit Shachtman und seinen Anhängern: »Die WP steht der SWP und der Internationale gegenwärtig feindlich gegenüber. Die Unmöglichkeit einer Vereinigung ergibt sich vor allem aus dem Ausmaß der politischen Differenzen. Die Aufgabe besteht nicht darin, sich mit der WP zu ›vereinen‹, sondern dieses Hindernis für den Fortschritt der proletarischen Partei aus dem Weg zu räumen.«[10]

Die Herangehensweise der SWP an das Problem einer Vereinigung mit Shachtmans Gruppe 1945–1947 steht in diametralem Gegensatz zu der Methode, die Joseph Hansen und die SWP eineinhalb Jahrzehnte später in Bezug auf die Pablisten anwandten. Der Fehler, den Cannon 1947 bemerkte und berichtigte – »Wir haben den kleinbürgerlichen, zentristischen Charakter dieser Gruppe nicht genügend in unsere Überlegungen einbezogen« – wurde wiederholt und sogar zur Tugend erhoben. 1961–1963 beharrte die SWP darauf, dass die organisatorische Vereinigung jeder politischen Diskussion und Klärung der bestehenden Differenzen vorausgehen müsse.

C. L. R. James (Johnson) und Raya Dunayevskaya (Forrest) brachen mit Shachtman und schlossen sich der SWP an. Diese beiden Führer einer kleinen Fraktion waren schon vor der Spaltung von 1940 Mitglieder der Vierten Internationale gewesen. Sie gingen zunächst zwar mit Shachtman, stimmten aber später nicht mit seiner leidenschaftlichen Unterstützung für die »Drei Thesen« der IKD überein.

Zwar verließen beide die SWP zwei Jahre später wegen des Korea-Kriegs. Aber es ist absurd, diese klitzekleine Spaltung einen »beklagenswerten Preis« zu nennen, der angeblich bewies, dass »das gesamte trotzkistische Erbe schon drei Jahre vor dem Auftauchen des Erzrevisionisten Pablo über Bord geworfen wurde«. Banda hätte höchstens recht, wenn die SWP beim Ausbruch des Korea-Kriegs vor der Johnson-Forrest-Tendenz kapituliert hätte. Tatsache ist aber, dass diese sich mit ihren Ansichten in der SWP nicht durchsetzen konnte.

Der Ausbruch des Korea-Kriegs war die wichtigste Probe für die Staatskapitalisten nach dem Krieg und entlarvte sie nachhaltig als Apologeten des Imperialismus in der Arbeiterbewegung. Im Jahr 1950 bestätigten sich Trotzkis Warnungen – vor allem an Shachtmans eigenem Schicksal.

Trotz seiner persönlichen Ergebenheit für Trotzki wurde Shachtman durch die Logik seiner nicht berichtigten, kleinbürgerlichen politischen und theoretischen Positionen in ein Instrument fremder Klassenkräfte und schließlich in einen Konterrevolutionär verwandelt. Die Vierte Internationale hatte diese Entwicklung 1940 zwar vorhergesagt und theoretisch vorweggenommen, musste danach aber dennoch durch eine Reihe zusätzlicher Erfahrungen gehen – genau wie Lenin und die Bolschewiki nach der »historisch entscheidenden« Spaltung von 1903 durch zahlreiche verschiedene Erfahrungen hatten gehen müssen, wie zum Beispiel die gemeinsame Auflösung von Fraktionen und Einheitskongresse.

Die Art und Weise, wie Banda diese Episoden abhandelt, zeigt seinen eigenen hoffnungslos kleinbürgerlichen Standpunkt. Er ist unfähig, sich über subjektive Bewertungen und anekdotenhafte Darstellungen hinaus zu einer Analyse der gesellschaftlichen Beziehungen und der objektiven Entwicklung des Klassenkampfs zu erheben. Aber nur auf dieser Grundlage kann man die Entwicklung von Fraktionen, Tendenzen und ihren einzelnen Führern wissenschaftlich verstehen.

Banda präsentiert eine weitere verblüffende Enthüllung, die angeblich Cannons diabolischen Verrat entlarvt: »Nach dem Zweiten Weltkongress führte die SWP in Zusammenarbeit mit Healy eine systematische Kampagne, um einen Kult um Pablo und Mandel zu schaffen und sie als politische Vollstrecker Trotzkis darzustellen – oder gar als die größten zeitgenössischen Genies und Strategen.«

Und die Quelle dieser erstaunlichen Information?

In einer Diskussion mit mir und dem verstorbenen P. K. Roy von der indischen Sektion gab der verstorbene Farrell Dobbs freimütig zu, dass die SWP ganz bewusst Pablo als die lebende Verkörperung des Trotzkismus aufbaute, weil sie befürchtete, Trotzkis Tod habe eine Lücke hinterlassen, die ausgefüllt werden müsse! Das war das Wesen des theoretischen Bankrotts der SWP – und der gesamten Führung der VI – und der schlagendste Beweis für ihren Pragmatismus, der die SWP zum Untergang verurteilte … Die Erhebung Pablos zu einer Kultfigur war nur die Folge davon, dass die SWP den Trotzkismus zu einem Dogma gemacht hatte.

Die beiden von Banda genannten Gesprächspartner sind praktischerweise nicht mehr am Leben und können seiner Version der Ereignisse nicht mehr widersprechen. Aber sie ist so lächerlich, dass sie kaum ernsthafte Beachtung verdient. Billige Psychologie soll eine politische Analyse ersetzen: Cannon »baute Pablo auf«, um die »Lücke« zu füllen, die Trotzki hinterlassen hatte. Wir kennen weder Dokumente noch Statuen oder Ikonen, die diesen seltsam anmutenden »Personenkult« in der Vierten Internationale bestätigen würden. In Wirklichkeit gab es nichts dergleichen. Wir können uns nicht mit Bandas angeblicher Diskussion mit Männern befassen, die nicht mehr am Leben sind. Die Geschichte der trotzkistischen Bewegung muss anhand ihrer schriftlichen Dokumente untersucht werden und nicht anhand irgendeiner mündlichen Überlieferung oder fraktionell eingefärbten Erinnerung.

Cannon sprach bei mehreren Anlässen über die Bedeutung von Trotzkis Tod. Er wandte sich dabei gegen Felix Morrow, andere Rechte oder offene Feinde der Bewegung, die so taten, als hinge das Schicksal der Vierten Internationale von einem Mann ab – selbst wenn dieser Mann ein Genie wie Trotzki war.

Am direktesten nahm er auf der Vollversammlung der SWP im Mai 1946 zu dieser Frage Stellung:

Seit Trotzkis Tod treffen wir in unserer Partei – und nicht nur dort – immer wieder auf die Auffassung, dass die einzige Rettung für die Vierte Internationale irgendein neuer Messias wäre. Mit anderen Worten: Die kollektive Arbeit, in der Fehler korrigiert und richtige Antworten gefunden werden, das strenge Festhalten an dem Programm, die Zusammenarbeit zwischen den Parteimitgliedern, die Wahl einer tüchtigen Parteiführung und die Zusammenarbeit der Parteiführer in einem internationalen Zentrum reichen nicht aus. Wir brauchen jemanden, der über all dem steht und als Individuum die Bewegung führt. Das ist der Messias-Komplex. Das steckt hinter all dem Murren, das wir seit Trotzkis Tod zu hören bekommen.

Offen hörten wir es zum ersten Mal vor zweieinhalb Jahren auf dem Plenum zum fünfzehnten Jahrestag. »Cannon kann Trotzki nicht ersetzen« – eine Feststellung, die sicher nicht übertrieben ist. Aber hinter dieser Aussage – »Cannon nimmt nicht Trotzkis Stelle ein« – versteckt sich das Gefühl, irgendjemand müsse doch Trotzki ersetzen. Wir sagten, die Internationale müsse auf internationaler Ebene an Trotzkis Stelle treten, denn Trotzkis fallen nicht vom Himmel. In ihrem Innersten wähnen diese verwirrten Individuen, vielleicht selbst der Erleuchtete zu sein. Sie haben kein Vertrauen in die kollektive Fähigkeit der Partei, sich selbst zu führen und ihre eigene Führung zu schmieden. Das ist von A bis Z verkehrt.

Aber die Anmaßungen dieser Leute, die sich selbst über die Partei und über die von der Konferenz gewählte internationale Führung stellen – diese Anmaßungen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Wir befinden uns in einem anderen Stadium der Entwicklung der Vierten Internationale. Wir leben im Stadium nach Trotzki. Trotzki ist nun seit fünf, fast sechs Jahren tot, und die ganze Sache, die internationale Bewegung, hat sich auf die Anforderungen dieser neuen Periode eingestellt. Was haben wir? Wir haben Trotzkis Ideen und die Kader, die von diesen Ideen geschaffen wurden, und damit arbeiten wir und gehen zuversichtlich der Zukunft entgegen.[11]

Cannon baute Pablo nicht auf, um eine »Lücke« zu füllen, weil es für ihn keine Lücke in der Vierten Internationale gab. In den vierziger und Anfang der fünfziger Jahre vertraute Cannon noch auf die Macht der Ideen, die Trotzki hinterlassen hatte, und war überzeugt davon, dass »einfache Leute«, die ihre Arbeit auf diese Ideen stützten, die Vierte Internationale aufbauen und unter ihrem Banner die sozialistische Weltrevolution führen konnten.

Natürlich versuchte Cannon in den späten vierziger Jahren, Pablo zu ermutigen, so wie er selbst von Trotzki ermutigt worden war. Cannon äußerte sich häufig über Trotzkis außerordentlichen Takt und seine Geduld im Umgang mit der internationalen Bewegung. Diese Haltung, für die vieles spricht, hat Cannon zweifellos beeinflusst.

Es gibt auch Hinweise, dass er Pablo gewisse Fehler aus den vierziger Jahren nicht nachtrug, zum Beispiel sein unglückliches Eingreifen in die Anfangsstadien des Kampfs gegen die Morrow-Goldman-Fraktion, das Cannon zunächst auf die fehlende Erfahrung des Jüngeren zurückführte. Später, in den fünfziger Jahren, machte Cannon in seiner Reaktion auf Renards Klagen über Pablos bürokratisches Vorgehen einen ernsten politischen Fehler. Darauf werden wir später eingehen.

Jedenfalls müssen all diese Ereignisse objektiv untersucht werden, was zumindest Ehrlichkeit voraussetzt. Leider kann Banda mit dieser Eigenschaft nicht dienen. In der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine prinzipienfeste Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Cannon und der Führung des IEK, die von Pablo und Germain (Mandel) gestellt wurde. Die Tatsache, dass selbst aus den ältesten und engsten Bündnissen unversöhnliche Differenzen hervorgehen, beweist keineswegs, dass die Beziehungen von Anfang an falsch oder prinzipienlos waren.

In der geschichtlichen Entwicklung jeder wirklich revolutionären Bewegung werden politische Beziehungen ständig neu bewertet und neu bestimmt. Die Entwicklung des Marxismus macht diesen Prozess nicht überflüssig, sondern gibt den daran Beteiligten die Möglichkeit, diese objektiven Veränderungen in ihrem Verlauf bewusst einzuschätzen, ihre Klassenursprünge und ihre politische Bedeutung aufzuspüren und irreparable Spaltungen nach Möglichkeit zu vermeiden oder nötigenfalls mit rücksichtsloser Entschlossenheit zu vollziehen.


[1]

The Militant, 28. Juni 1948.

[2]

Ebd.

[3]

Ebd.

[4]

The Militant, 5. Juli 1948.

[5]

The Militant, 26. Juli 1948.

[6]

Zweiter Weltkongress der Vierten Internationale, »Struggles of the Colonial Peoples and the World Revolution«, in: Fourth International, Juli 1948, S. 157.

[7]

James P. Cannon, The Struggle for Socialism in the »American Century«: James P. Cannon Writings and Speeches 1945–47, Hrsg. Les Evans, New York 1977, S. 329.

[8]

Ebd., S. 421.

[9]

Internes Bulletin der SWP, Jg. 10, Nr. 3, Mai 1948, S. 3.

[10]

Ebd., S. 4.

[11]

Cannon, Struggle for Socialism, S. 239–240.