David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die Spaltung der Vierten Internationale

Es überrascht nicht, dass der Renegat Banda seine Verleumdungskampagne gegen das Internationale Komitee gerade auf das Dokument konzentriert, in dem die Trotzkisten auf der ganzen Welt aufgerufen wurden, das revisionistische Krebsgeschwür zu bekämpfen, das die Weltpartei der sozialistischen Revolution zu zerstören drohte.

Dem »Offenen Brief«, den James P. Cannon im November 1953 schrieb, gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der Vierten Internationale. Welches Kaliber er hat, kann man schon daran sehen, dass er nach 33 Jahren immer noch Revolutionäre anspornt und Renegaten in Rage versetzt. Dieser »Brief an die Trotzkisten in aller Welt« ist ein unvergänglicher politischer Meilenstein in der Geschichte der Vierten Internationale und zieht seit über einer Generation die Grenzlinie zwischen Marxismus und Revisionismus.

Seit 1953 lieferte der »Offene Brief« die Abrechnung mit jeder revisionistischen Tendenz, die mit dem Trotzkismus brach. Im Kampf gegen Pablos Revisionismus machte der »Offene Brief« die Grundlagen und die historische Perspektive der Vierten Internationale wieder geltend. So wie praktisch alle revisionistischen Tendenzen seit 1953 im Grunde nur Variationen von Pablos revisionistischen Positionen vertraten, boten die Prinzipien, die Cannon in dem »Offenen Brief« und einer Reihe zugehöriger Dokumente 1953–1954 niederlegte, den Trotzkisten in ihrem Kampf gegen die Feinde der Vierten Internationale eine grundlegende Orientierung.

Obwohl buchstäblich Bandas gesamtes politisches Leben mit diesem herausragenden Dokument verknüpft war, schreibt er heute:

Den Offenen Brief und die Bildung des IK wollen D. North und seine bürokratische Clique jetzt als historische Errungenschaft des Trotzkismus verkaufen, die bedingungslos verteidigt werden muss. Dies ist nur ein Zeugnis für die theoretische Armseligkeit, intellektuelle Arroganz und politische Unreife dieser jämmerlichen kleinen Lügnerbande. Der Offene Brief war eine opportunistische Reaktion von Healy und Cannon, mit der sie sich völlig willkürlich und überstürzt ein Alibi für ihre eigene unglaubliche politische Hirnlosigkeit verschaffen wollten.

In diesem zweideutigen und ehrlosen Manöver war weder Logik noch Ehrlichkeit noch Wahrheit. Sie bekämpften den Pablismus mit Pablismus. Zuerst schufen sie in der Gestalt Pablos bewusst ein Frankenstein-Monster, und dann versuchten sie mit dem Offenen Brief verzweifelt, sich von aller Verantwortung dafür loszusagen. Bewusst verhinderten sie jede wirkliche Diskussion und Untersuchung der politischen, gesellschaftlichen und historischen Wurzeln des Pablismus.

Anstatt den politischen Inhalt des »Offenen Briefs« zu untersuchen, tut Banda ihn als ein »Alibi« für angebliche Verbrechen ab, die Healy und Cannon in früheren Zeiten begangen haben sollen. Welch ein bankrotter Ersatz für eine wirkliche Analyse historischer Prozesse! Wenn man diese Methode zum Beispiel auf die Geschichte der USA anwenden wollte, dann könnte man schlussfolgern, dass die Proklamation zur Befreiung der Sklaven genau wie der »Offene Brief« ein »zweideutiges und ehrloses Manöver« war, das nur Lincolns »unglaubliche politische Hirnlosigkeit« vertuschen sollte. Schließlich weigerte er sich in den ersten Jahren des Bürgerkriegs, etwas gegen die Sklaverei zu unternehmen, arbeitete die Proklamation dann im Geheimen aus, verabschiedete sie erst unter dem Druck militärischer Notwendigkeit und ließ sich überreden, sie erst nach einem Sieg des Nordens zu veröffentlichen. Zu guter Letzt beschränkte er die Befreiungsverfügung auch noch auf die Staaten, die am 1. Januar 1863 noch rebellierten. Das heißt, er »befreite« die Sklaven nur in den Gebieten von Amerika, wo die Union nicht an der Macht war und die Proklamation nicht durchsetzen konnte!

Man kann sogar noch weiter gehen und den gesamten Bürgerkrieg verurteilen. Dann waren die Südstaaten ein von den »Gründungsvätern« geschaffenes »Frankenstein-Monster«, um zu rechtfertigen, dass sie in der Verfassung Kompromisse gemacht und die Sklaverei im Süden legitimiert hatten. Professor Banda könnte dieses vernichtende Urteil damit begründen, dass Lincoln in seinen verzweifelten Versuchen, den Norden von jeder Verantwortung für die durch seine politischen Versäumnisse geschaffene Krise loszusagen, nach der Kapitulation von Fort Sumter »völlig willkürlich und überstürzt« 75 000 Freiwillige zusammenrief, um »jede wirkliche Diskussion und Untersuchung der politischen, gesellschaftlichen und historischen Wurzeln« der Konföderation der Südstaaten zu verhindern.

Falls jemand einwenden sollte, diese Analogie sei zu weit hergeholt, wollen wir ein Beispiel aus der Geschichte der marxistischen Bewegung anführen. Wäre Banda im April 1917 in Petrograd gewesen, dann hätte er zweifellos Lenins »Aprilthesen« eine langatmige Abhandlung entgegengestellt, die alle und jeden daran erinnert hätte, dass Lenin schließlich selbst die verruchte Theorie der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft entworfen hatte, deshalb die volle Verantwortung für die schwere Krise in der Bolschewistischen Partei trage, und dass in seinen Angriffen auf die »alten Bolschewiki« weder »Logik noch Ehrlichkeit noch Wahrheit« liege. Vielleicht hätte er seinen Artikel überschrieben mit: »27 Gründe, die Bolschewistische Partei zu begraben und die sozialistische Revolution abzublasen«!

Alle kleinbürgerlichen Philister, die sich zu Korrekturlesern der Geschichte aufschwingen, finden reichlich »Fehler« in den Biografien selbst der größten Marxisten. In den Fehlern dieser Kämpfer sehen sie Rechtfertigungen für ihre eigene Kleinlichkeit, Charakterlosigkeit und Unfähigkeit zu revolutionärer Aktion. Es ist vergleichsweise einfach, Cannon vorzuwerfen, er habe 1951 noch nicht die volle Bedeutung der Dokumente des Dritten Weltkongresses erkannt. Diesen Fehler machten viele in der Vierten Internationale – auch Banda. Später behauptete er zwar, schon früher seine Zweifel gehabt zu haben, aber offensichtlich hatte er sie für sich behalten. Was immer Cannons politische Schranken und Fehler auch gewesen sein mögen, 1953 wurde er der Lage gerecht und bot all seine Erfahrung und Kampfkraft auf, um sich der Liquidierung der Vierten Internationale entgegenzustellen. Alle Trotzkisten, auch diejenigen, die Pablos heimtückische Rolle vielleicht schon etwas früher erkannt hatten, begrüßten es begeistert, als der 63-jährige Veteran mit Macht gegen die Intrigen der Liquidatoren einschritt. Und tatsächlich findet man, wie jüngste Erfahrungen bestätigen, selten genug Männer, die selbst in wesentlich jüngerem Alter noch bereit wären, einen offenen Kampf gegen den Revisionismus aufzunehmen!

In diesem Kampf stand Cannon für die historischen Interessen der Arbeiterklasse, für ihren Kampf, sich aus dem Würgegriff des Stalinismus und aller anderen Agenturen des Imperialismus in der Arbeiterbewegung zu befreien. Bezeichnenderweise lässt Banda uns nicht wissen, was Cannon seiner Meinung nach 1953 hätte unternehmen sollen, um die Vierte Internationale zu verteidigen. Schließlich war die Lage so, dass Pablo seinen Verwaltungsposten in der Führung der Vierten Internationale ausnutzte, um in Sektionen Mehrheiten auszuschließen, die sich gegen seine liquidatorische Linie wandten. Zur Begründung so drastischer Maßnahmen wie öffentliche Angriffe gegen Pablo auf den Seiten von »The Militant« meinte Cannon, dass die Diskussion aufhört, wenn die ersten Schüsse fallen – was Banda wahrscheinlich nicht versteht, da in der WRP im Allgemeinen schon geschossen wurde, bevor die Diskussion überhaupt begonnen hatte. Auf jeden Fall veröffentlichte die SWP den »Offenen Brief«, als sie erkannte, dass sie es mit einer brutalen und prinzipienlosen Clique zu tun hatte, die ihre Kontrolle über das Internationale Sekretariat dazu auszunutzen trachtete, jede Diskussion zu unterdrücken und die Trotzkisten aus der Vierten Internationale auszuschließen.

Wenn Banda sich heute gegen den »Offenen Brief« stellt, dann nur deshalb, weil er inzwischen mit Pablos politischen Positionen übereinstimmt. Von seinem heutigen Standpunkt aus wünscht Banda, der »Offene Brief« wäre nie geschrieben und das Internationale Komitee nicht gegründet worden, und es wäre Pablo gelungen, die Vierte Internationale zu liquidieren.

Bandas Zurückweisung des Kampfs gegen den Pablismus kommt besonders darin zum Ausdruck, dass er mit keinem Wort die großen internationalen politischen Entwicklungen erwähnt, die den objektiven Hintergrund der Spaltung bildeten und dazu beitrugen, die grundlegenden Fragen von Programm und Perspektiven zu klären, um die es in der Auseinandersetzung ging: Stalins Tod im März 1953, der Ostberliner Aufstand im Juni 1953 und der französische Generalstreik im August 1953. Als wirklich internationalistisches Dokument ging der »Offene Brief« auf all diese Fragen ein.

Einige Wochen nach Stalins Tod gab George Clarke – neben Cochran Pablos engster Verbündeter in der SWP – einen Bericht mit dem Titel »Stalins Rolle – die Zukunft des Stalinismus«. Diese Rede führte zwei grundlegende Revisionen der trotzkistischen Einschätzung des Stalinismus ein. Erstens erweckte sie den Eindruck, es gebe »sozialistische Eigentumsformen« in der UdSSR, was die Stalinisten behauptet, Trotzki aber stets verneint hatte. Zweitens griff Clarke die Konzeption der politischen Revolution an, wie sie die Vierte Internationale im Verlauf von 20 Jahren entwickelt hatte. Clarke spekulierte, in welcher Form der Stalinismus stürzen werde:

Wird dieser Vorgang die Form eines gewaltsamen Aufstands gegen die bürokratische Herrschaft in der UdSSR annehmen? Oder werden Zugeständnisse an die Massen und ihre Beteiligung an der Macht – der Weg, den die englische bürgerliche Revolution in der politischen Beziehung zwischen der aufsteigenden Bourgeoisie und dem niedergehenden Adel einschlug – nach und nach die Basis der Bürokratie unterhöhlen? Oder wird die Entwicklung beide Formen verbinden? Das können wir nicht vorhersagen. Aber dass dieser Vorgang nicht das Ende des Sozialismus, sondern seine glorreiche Wiedergeburt bedeutet – das steht fest.[1] (Betonung im Original)

Trotzki hatte ausdrücklich jeden Gedanken daran zurückgewiesen, die stalinistische Bürokratie innerhalb der UdSSR könne durch irgendetwas anderes als durch eine gewaltsame politische Revolution gestürzt werden. Aber Clarke wartete jetzt mit der Auffassung auf, es könne eine Art friedliches Hinüberwachsen des Stalinismus in den Sozialismus geben. Diese Ansicht stammte ursprünglich von Isaac Deutscher, einem polnischen Zentristen, der nach England emigriert war und dort als Journalist und Biograf von Stalin und Trotzki berühmt wurde. In Schriften, die offensichtlich mit Pablos Gedanken übereinstimmten und sie beeinflussten, argumentierte Deutscher, der Sozialismus werde schließlich durch politische Tendenzen verwirklicht, die weder stalinistisch noch trotzkistisch sein würden. Stattdessen, so behauptete er, werde die allmähliche Selbstreform der Bürokratie eine sozialistische Bewegung hervorbringen, die die historisch fortschrittlichen Seiten sowohl des Stalinismus als auch des Trotzkismus in sich vereinigen werde.

Clarkes revisionistische Linie wurde von Pablo in einem Artikel »Der ›neue Kurs‹ nach Stalin« weiterentwickelt, in dem er eine zwangsläufige »Entstalinisierung« der Bürokratie vorhersagte. Den Aufstand in Ostdeutschland betrachtete Pablo weder als Vorbote der politischen Revolution gegen den Stalinismus noch als Ausdruck der unversöhnlichen Gegensätze zwischen der Arbeiterklasse und der Bürokratie, trotz der Gewalt, die den Aufstand begleitete, und der Brutalität, mit der er unterdrückt wurde. Vielmehr legte Pablo alles Gewicht auf die politischen Zugeständnisse, die die Bürokratie der Arbeiterklasse in der DDR gemacht hatte. »Sobald die Zugeständnisse jedoch ausgeweitet werden, droht der Vormarsch zur wirklichen Liquidierung des stalinistischen Regimes unaufhaltsam zu werden.«[2]

Ausgehend von der Konzeption, der Stalinismus werde durch immer weitgehendere Zugeständnisse unter dem Druck der Massen liquidiert werden, betrachtete Pablo den Sieg des Sozialismus in der UdSSR und Osteuropa als das Ergebnis von »gewaltigen Kämpfen innerhalb der Bürokratie zwischen den Elementen, die für den Status quo oder sogar für einen Rückschritt eintreten, und den immer zahlreicheren Elementen, die von dem mächtigen Druck der Massen getrieben werden …«[3]

Die Socialist Workers Party bezog eine der Linie von Pablo und Clarke direkt entgegengesetzte Position. Die sogenannten Zugeständnisse der Stalinisten, erklärte sie, dienten »dem Regime nur dazu, die Arbeiter auch weiterhin im Würgegriff zu halten«.[4] Sie betonte:

Dieser politische Aufstand der deutschen Arbeiter brachte den unversöhnlichen Konflikt zwischen den arbeitenden Massen und der parasitären stalinistischen Bürokratie offen ans Tageslicht. Die Verhältnisse und Bedingungen, die zu den Ereignissen in Ostdeutschland führten, sind nicht auf Ostdeutschland beschränkt; sie herrschen in allen Ländern der Pufferzone und in der Sowjetunion selbst. Daher ist Ostdeutschland ein erstes Anzeichen der revolutionären Entwicklungen und Kämpfe in den stalinistisch beherrschten Ländern.[5]

Pablos Zurückweisung der politischen Revolution und seine Perspektive der bürokratischen Selbstreform waren der Höhepunkt der liquidatorischen Linie, die sich seit 1949 entwickelt hatte. Im Jahr 1953, unter Bedingungen, wo die Arbeiterklasse den direkten Kampf gegen den Stalinismus aufnahm, war Pablo zu einem Fürsprecher der sowjetischen und osteuropäischen Bürokratien geworden.

Von daher konnte Pablo den revisionistischen und liquidatorischen Inhalt seiner politischen Linie nicht länger mit allerlei oberflächlich plausiblen Argumenten vertuschen, die trotzkistische Bewegung müsse »aus ihrer Isolation ausbrechen«, und was dergleichen vielgeliebte Argumente der Opportunisten mehr sind. Als Pablo eine weitere »Konkretisierung« der Strategie des Dritten Kongresses vorlegte, ein Dokument mit dem Titel »Unsere Integration in die wirkliche Massenbewegung, unsere Erfahrung und unsere Perspektiven«, war bereits klar, dass er bewusst daran arbeitete, die Sektionen der Vierten Internationale in wenig mehr als Anhängsel der stalinistischen Bürokratien zu verwandeln, bzw. Anhängsel der kleinbürgerlichen Apparate, die die Massenbewegung der Arbeiter in den verschiedenen Ländern gerade beherrschten. Seine Vorschläge zu universalem »Entrismus« liefen auf ein organisatorisches Rezept für die politische Auflösung der Vierten Internationale als revolutionäre marxistische Partei in der Arbeiterklasse hinaus.

Während unsere Strategie, die Strategie der einzigen revolutionären marxistischen Tendenz, in der Machteroberung durch das Proletariat und dem Triumph der sozialistischen Revolution im Weltmaßstab besteht, muss unsere Taktik die konkreten objektiven und subjektiven Bedingungen berücksichtigen, um im günstigsten Moment die bestmögliche Umgruppierung der bewussten revolutionären Kräfte herbeizuführen, die größer sind als wir. In der Vereinigung mit ihnen müssen wir große marxistische revolutionäre Parteien schaffen.

In letzter Analyse zielt unsere Taktik darauf ab, solche revolutionären Parteien zu schaffen, wie sie für den schnellen und vollständigen Sieg der sozialistischen Weltrevolution unerlässlich sind.

Deren Schaffung begreifen wir jedoch als Teil des Entwicklungsprozesses der Klasse selbst in jedem Land, als Teil ihrer politischen Reifwerdung durch ihre konkrete Erfahrung. Gefördert wird diese einerseits durch die günstigen objektiven Bedingungen unserer Periode und andererseits durch unsere eigene Beteiligung an der wirklichen Bewegung der Klasse mit Hilfe unseres Programms, unserer Ideen und unserer Aktivitäten.[6]

Dieses ganze Gerede über den »Entwicklungsprozess der Klasse selbst« war nichts weiter als eine wenig glaubwürdige Rechtfertigung für den Verrat von Prinzipien und die Unterordnung der Vierten Internationale unter fremde Klassenkräfte.

Wir nehmen die Klasse mit ihren Besonderheiten in jedem Land so, wie sie ist, wir studieren ihre natürliche Bewegung, wir sondern aus ihr die progressiven Merkmale heraus und richten unsere Taktik danach.

Die Form bedeutet uns wenig, von entscheidender Bedeutung ist dagegen der Klasseninhalt, der oft deformiert, verborgen, latent oder sogar potenziell vorliegt. Aber dies aufzudecken, erfordert ein hohes Maß an Reife, die unsere Bewegung im Allgemeinen bewiesen hat.[7]

Wer den Charakter des pablistischen Revisionismus verstehen will, sollte die obigen beiden Absätze sorgfältig studieren. Sie sind eine moderne Version der alten opportunistischen Formel: »Die Bewegung ist alles, das Endziel nichts.« Pablo war der erste in einer langen Reihe revisionistischer »Techniker« innerhalb der Vierten Internationale, die einen grenzenlosen Opportunismus zur Tugend erhoben. Ihre taktischen Improvisationen rechtfertigten sie ausnahmslos mit Hinweisen auf die Kleinheit der trotzkistischen Bewegung, die Notwendigkeit, die Isolation zu durchbrechen usw. Zu sagen »die Form bedeutet uns wenig«, war eine Rechtfertigung für prinzipienlose Beziehungen zu praktisch jeder Spezies politischer Organisation, unabhängig vom Klassencharakter ihrer sozialen Grundlage oder ihres Programms. Die Behauptung, der »deformierte, verborgene, latente oder sogar potenzielle« Klasseninhalt von Organisationen sei »von entscheidender Bedeutung«, war eine Kriegserklärung an das gesamte marxistische, historisch-materialistische Verständnis von Politik. Eine derartige Herangehensweise führte zwangsläufig dazu, dass Impressionismus, Manöver und taktischer Hokuspokus das tägliche Leben der Sektionen beherrschten, die sich diese Methode zu eigen machten.

Bei all seinen zweideutigen Reden und diplomatischen Ausflüchten waren Pablos »entristische« Vorschläge durch und durch liquidatorisch, denn sie gründeten sich auf die Auffassung, ein wenig trotzkistisches Serum, in stalinistische, reformistische und bürgerlich-nationalistische Organisationen injiziert, werde vermittels einer obskuren politischen Alchemie diese antisozialistischen Kräfte in Werkzeuge der proletarischen Revolution verwandeln.

Was Pablo als Sektierertum bezeichnete, war die grundlegende Auffassung hinter der Gründung der Vierten Internationale 1938, dass die Krise der revolutionären Führung allein durch die trotzkistische Bewegung gelöst werden kann, die als Einzige das Erbe und die Kontinuität des Marxismus vertrat. Trotzki hatte erklärt, außerhalb der Vierten Internationale »gibt es auf unserem Planeten keine einzige revolutionäre Tendenz, die dieses Namens würdig wäre«.[8]

Dieses Verständnis der historischen Rolle der Vierten Internationale wies Pablo verächtlich zurück. »Unter den gegenwärtigen konkreten historischen Bedingungen«, schrieb er im Oktober 1953, »besteht die mehr oder weniger unwahrscheinlichste Variante darin, dass die Massen, desillusioniert von den Reformisten und Stalinisten, mit ihren traditionellen Massenorganisationen brechen und sich um unseren jetzigen Kern sammeln, während dieser ausschließlich oder hauptsächlich unabhängig und von außen agiert[9]

Pablo hielt es für unrealistisch, wie Trotzki zu glauben, dass die Sektionen der Vierten Internationale die große Leistung der Bolschewiki von 1917 wiederholen könnten, die in einer revolutionären Situation von einer relativ kleinen Minderheit innerhalb weniger Monate zu einer Massenpartei emporstiegen. Pablos Argument lautete:

Die allgemeinen historischen Bedingungen, die für die internationale und besonders die russische Arbeiterbewegung von 1917 charakteristisch waren, bestehen nicht mehr in dieser Form, sei es nur wegen der folgenden Existenz der Sowjetunion und des Stalinismus … Die Frage steht heute in den großen kapitalistischen Ländern vollkommen anders, besonders dort, wo es eine traditionelle Massenbewegung unter reformistischer oder stalinistischer Führung gibt.[10]

Darin bestand Pablos wirkliche Perspektive: Die Vierte Internationale würde niemals auf die Führung der Arbeiterklasse hoffen können, und sie könne niemals erfolgreich die Stalinisten und Sozialdemokraten herausfordern. Es hatte keinen Sinn, geduldig darum zu kämpfen, die Autorität der trotzkistischen Bewegung durch einen unversöhnlichen Kampf gegen die mächtigen Bürokratien zu steigern. Stattdessen sollte sich die Vierte Internationale in den stalinistischen Parteien in Europa auflösen (oder in jeder anderen Massenbewegung, die die Arbeiterbewegung in anderen Ländern gerade beherrschte, z. B. im Peronismus in Argentinien). Pablos kleinbürgerlicher Pessimismus verbarg sich hinter der demagogischen Rechtfertigung, die auch heute noch von allen Varianten des antitrotzkistischen Revisionismus wiederholt wird: »Wir wollen und wir werden an der wirklichen Revolution teilhaben.«[11]

Begrüßt wurde Pablos Botschaft in der Vierten Internationale von den demoralisierten Kleinbürgern und konservativ gewordenen Arbeitern, die für die Arbeiterbewegung ihres eigenen Landes nicht mehr an die Gültigkeit einer marxistischen Perspektive glaubten und nichts mehr vom Trotzkismus wissen wollten. Nach außen hin taten sie so, als habe Pablo eine Zauberformel für den Aufbau von Massenparteien entdeckt. In Wirklichkeit merkten sie, dass er ihre »Integration« in den Sumpf der bestehenden reformistischen Arbeiterorganisationen rechtfertigte. Im Oktober 1953 schrieb eine australische Anhängerin Pablos, Win Brad Jr., einen wütenden Brief an die Herausgeber der »Fourth International« von der SWP. Darin griff sie Morris Steins Kritik an Clarkes Linie zum Aufstand in der DDR an:

Leo Trotzki starb 1940 – vor 13 Jahren. Eine neue Generation, zu der auch ich gehöre und die den Sozialismus im Weltmaßstab aufbauen wird, ist seither herangewachsen. Diese neue Generation kann sich wahrscheinlich gar nicht mehr an die Zeit erinnern, in der Trotzki noch lebte. Wir können uns nicht daran erinnern, denn in den Tagen der Moskauer Prozesse, den Tagen der Volksfront und Einheitsfront waren wir kaum geboren. An den Zweiten Weltkrieg erinnern wir uns nur sehr dunkel. Die einzige Periode, die wir kennen, ist die Periode seit dem Krieg, und das Einzige, was wir wirklich wissen, ist, dass das letzte Gefecht zwischen der alten und der neuen Ordnung – Kapitalismus und Sozialismus – stattfinden wird, noch bevor wir in die mittleren Jahre kommen.

Ein Argument ohne Berücksichtigung der Weltlage seit 1945 zu begründen und zu beweisen mit dem Zitat eines Mannes, der vor zwölf Jahren starb – das genügt uns nicht, und wenn dieser Mann noch so genial und seine Ideen noch so richtig waren. Leo Trotzki schrieb für eine bestimmte Periode und besondere Umstände … Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, besonders in unserem Jahrhundert, und die Periode 1933–1941 ist anders als die Periode 1945–1953 …[12]

Im Herbst jenes Jahres kam es zu einem regelrechten Bürgerkrieg in der Vierten Internationale. In ihrem fraktionellen Hass gegen den Trotzkismus machten Pablos Anhänger vor nichts mehr Halt und unterstützten offen die konterrevolutionäre Politik der sowjetischen Bürokratie. Ein weiteres Beispiel für die außerordentliche Schärfe des Kampfs in der Vierten Internationale ist die Position, die Cochrans Anhänger im Ortsverband der SWP in Seattle einnahmen. Wir zitieren aus einem Bericht, den George Flint von der SWP-Mehrheit an Farrell Dobbs schrieb:

Auf unserem Ortsverbandstreffen Donnerstagabend lieferten sich Sylvia, Bud, Roger und Jim O. ein Kopf-an-Kopf-Rennen, die Partei des revolutionären Sozialismus zu verlassen und sich der Partei oder dem Milieu des konterrevolutionären Stalinismus anzuschließen.

Sylvia sagte in ihrer Erklärung, dass sie alle Ideen des Trotzkismus ablehne und die KP für eine historisch revolutionäre Partei halte.

Roger sagte, er sei niemals wirklich in die trotzkistische Bewegung integriert gewesen, denn er habe die KP nie für eine konterrevolutionäre Tendenz gehalten.

Bud sagte, er habe nach sechs Jahren in der SWP entschieden, dass er eine Bewegung verlassen müsse, die wirklichkeitsfremd die heutige Welt nicht von ihrem Wunschdenken unterscheiden könne. Unsere Partei, sagte er, nähre sich von den antikommunistischen Stimmungen der Massen.

Sie erklärten, dass sie auch für Jim O. sprächen. Er kam später, als sie schon gegangen waren, und bestätigte dies.

Auf eine Frage hin sagte Sylvia auf dem Treffen, sie halte die Ermordung der Linken Opposition in der Sowjetunion für progressiv und notwendig, weil sie für die Verteidigung der Sowjetunion notwendig gewesen sei.[13]

Der Sommer und frühe Herbst 1953 brachten den Wendepunkt im Kampf innerhalb der Vierten Internationale. Der Generalstreik in Frankreich entlarvte die praktischen Folgen der pablistischen Linie in der Arbeiterbewegung. Als die Stalinisten die Massenbewegung unter Kontrolle bekamen und einer revolutionären Konfrontation mit dem Staat die Spitze brachen, war Pablo dagegen, ihre Rolle als verräterisch zu brandmarken. Er warf ihnen lediglich vor, keine Politik zu haben. Darüber hinaus begrüßten Pablos Anhänger in Frankreich ausdrücklich die Weigerung der stalinistisch kontrollierten CGT-Gewerkschaften, politische Forderungen aufzustellen.

Die Erfahrung des Generalstreiks im August räumte die letzten Zweifel aus der Welt, dass Pablos Aufruf zu einem »tiefen Eindringen« in die stalinistischen Parteien Bestandteil einer vollständigen Kapitulation vor dem Stalinismus und Zurückweisung des Trotzkismus war.

Jetzt, wo Pablo mit Cannons direkter Opposition gegen seine rechte Linie konfrontiert war, nahmen seine fraktionellen Manöver einen verzweifelten und verwegenen Charakter an. Wenn Banda den »Offenen Brief« ein »arrogantes Ultimatum« nennt, dann stellt er die historische Wahrheit auf den Kopf. Die Wirklichkeit sah so aus, dass Cannon sich zu einem öffentlichen Aufruf an die Trotzkisten in aller Welt entschloss, um die physische Existenz bestimmter Sektionen der Vierten Internationale zu schützen. Wie Banda sehr wohl weiß, war die Lage in England am gefährlichsten. Eine Fraktion unter Lawrence, die direkt unter Pablos Anleitung arbeitete, drohte mit der Zerstörung der Organisation, sollte Healy sich nicht dem Pariser Kurs anschließen und seine politischen Verbindungen zu Cannon abbrechen.

In einem Brief warnte Pablo Healy am 23. September 1953, er werde ihn politisch vernichten, wenn er sich nicht seiner Komintern-Disziplin unterwerfe, seine Differenzen für sich behalte und das Internationale Sekretariat gegen die Socialist Workers Party unterstütze. Pablo war derjenige, der wirklich ein »arrogantes Ultimatum« stellte. Er befahl Healy,

a. den Kampf ausschließlich auf die politische Ebene der Ideen zu beschränken, Dich vor allem als Mitglied des IEK [Internationalen Exekutivkomitees] und des IS [Internationalen Sekretariats] zu verhalten und als solches bis zum Vierten Weltkongress die Linie der Mehrheit und die Disziplin der Internationale zu vertreten;

b. nicht länger als Vertreter der amerikanischen Mehrheitsfraktion zu handeln und deren politische Linie abzuwarten, bevor Du Stellung beziehst, sowie nicht mehr deren Dokumente in Deiner Fraktion in England zu zirkulieren, bevor Du das IS oder das IEK über Deine politischen Differenzen unterrichtest;

c. keinerlei organisatorische Maßnahmen zu treffen gegen Genossen in Deiner Sektion, die, wie es ihre und vor allem auch Deine Pflicht ist, die Linie und Disziplin der Internationale verteidigen.[14]

Cannon war wie betäubt von diesem Brief, der eine offene Drohung enthielt, dass das IS »mit extremer Härte« über Healy richten werde, wenn er in der britischen Sektion weitere Diskussionen über die Auffassungen der SWP zulasse. Cannon hatte die Stalinisierung der Komintern miterlebt. Er erinnerte sich, wie die stalinistische Bürokratie eine groteske Karikatur auf die »internationale Disziplin« erzwungen hatte, um in den Sektionen der Dritten Internationale jede Diskussion über Trotzkis Positionen zu verhindern. Entsetzt sah er, wie Pablo versuchte, diese politisch korrupten Praktiken in der Vierten Internationale aufleben zu lassen. Pablo forderte, Healy solle den Mund halten und zusehen, wie eine Gruppe von Prostalinisten unter Lawrence, der bereits in enger Verbindung mit der britischen KP stand, die britische Sektion kidnappte.

Cannon verließ Los Angeles und reiste nach New York, um dort in Sondersitzungen mit dem Politischen Komitee die Krise in der Vierten Internationale zu diskutieren. Am 25. Oktober 1953 schickte Farrell Dobbs, der jetzt Cannon unterstützte, einen ausführlichen Bericht an Healy, der genau erklärte, weshalb sich die SWP zu dem »Offenen Brief« entschloss, und die vollkommen prinzipientreuen Grundlagen dieses Dokuments belegt:

Seit Jims Ankunft in New York haben wir den bisherigen Verlauf des internationalen Kampfs untersucht und die jüngsten Entwicklungen festgehalten. Wir haben all Deine Briefe aufmerksam gelesen. Sie hatten großen Einfluss auf unsere Einschätzung der internationalen Situation.

Am übelsten ist das Ultimatum, das Pablo Dir stellt. Es zeigt, dass er eingreifen und der revisionistischen Minderheit in Deiner Partei helfen will, die Mehrheit zu stürzen. Wir stellen fest, dass er, während er Dich so bösartig angreift, uns gegenüber eine viel vorsichtigere Haltung einnimmt. Er will, dass wir in der internationalen Arena stillhalten und uns ausschließlich mit dem Kampf gegen unsere eigenen Revisionisten befassen, die er nur heimlich unterstützt, während er gleichzeitig Deine und andere orthodoxe trotzkistische Gruppen in Stücke hauen will.

Der beste Dienst, den wir der internationalen Bewegung erweisen können, besteht unserer Meinung nach darin, dieses ganze pablistische Intrigennetz mit einer offenen Herausforderung ihrer revisionistischen, liquidatorischen Linie zu zerreißen. Wir denken, dass die Zeit gekommen ist, offen die orthodoxen Trotzkisten in aller Welt aufzurufen, sich zur Rettung der Vierten Internationale zusammenzuschließen und diese revisionistische Usurpatoren-Clique hinauszuwerfen. Die Bewegung muss gewappnet werden gegen Pablos Taktik von Spaltungen und Ausschlüssen und gegen den Missbrauch seiner administrativen Kontrolle, mit deren Hilfe er auf internationaler Ebene den Trick von Frankreich wiederholen will, eine Mehrheit mit einer Minderheit zu stürzen.

Entsprechend dieser Entscheidung, von der Defensive zur Offensive überzugehen, ändern wir den ganzen Charakter des Aufrufs, dessen Entwurf wir Dir geschickt haben. Dieser Entwurf beschränkte sich auf eine Beschreibung des Revisionismus in unserer Partei und Pablos Unterstützung für die Revisionisten. Dazu kam ein Aufruf, der internationale orthodoxe Trotzkismus solle uns in unserem Kampf unterstützen. Jetzt wollen wir von unserem Plenum aus ein offenes Manifest an die Weltbewegung herausgeben und zum Kampf gegen die Pablisten in der internationalen Arena aufrufen.

Ausgehen wird das Dokument von der kriminellen Politik des Pablismus in Bezug auf die revolutionären Ereignisse in Ostdeutschland, Frankreich, Iran und die neuen Entwicklungen in der Sowjetunion. Wir werden aufzeigen, dass die politischen Gräben so tief und die pablistischen organisatorischen Methoden unserer Bewegung so fremd sind, dass kein Modus Vivendi mehr möglich ist. Das Verhalten der Pablisten zeigt, dass sie das wirkliche Kräfteverhältnis in der Bewegung mit Füßen treten. Sie benehmen sich, als sei die Internationale das Privateigentum von Pablo und seinem Klüngel. Die orthodoxen Trotzkisten müssen Pablo und die ganze Clique um ihn herum hinauswerfen, denn außer der völligen Unterwerfung unter ihren kriminellen Kurs lassen sie keinen Modus Vivendi zu.

Man muss sich darüber klar werden, dass der Entscheidungskampf nicht, wie viele bisher erwarteten, bis zum nächsten Kongress Zeit hat. Durch ihre Aktionen in Frankreich und ihre Schritte und Drohungen gegen Euch in England haben die Pablisten bereits gezeigt, dass sie keinen demokratischen Kongress zulassen werden. Ihr Plan sieht vor, die orthodoxen Trotzkisten loszuwerden, bevor der Kongress noch zusammentritt. Wir müssen auf der Stelle handeln, und zwar entschieden. Das heißt, wir müssen ohne Verzögerung zum Gegenangriff übergehen. Wir dürfen keine Illusionen haben, es könne eine friedliche Lösung oder einen Kompromiss mit dieser Bande geben.

Diese veränderte Taktik, für die wir uns hier einstimmig entschieden haben, ist vor allem von Überlegungen bestimmt worden, wie wir Euch in Eurem Kampf am besten unterstützen können. Zurzeit sieht es so aus, dass Du in einem Netz von Verleumdungen und falscher Paragrafenreiterei steckst und dadurch in der Defensive bleibst. Du musst gezwungenermaßen auf Pablos eigenem Boden kämpfen, und das mit unerfahrenen Genossen, die darauf hereinfallen können, wie er politische Verwirrung stiftet und organisatorische Intrigen spinnt.

Wenn unser Plenum Pablo direkt und offen politisch herausfordert, dann wendet sich das Blatt, seine Verwirrungsstrategie wird durchbrochen und eine hervorragende Grundlage geschaffen, von der aus Du, indem Du unser Manifest unterstützt, von der Defensive zur Offensive übergehen kannst. Auf diese Art und Weise kannst Du alle orthodoxen Trotzkisten rasch mobilisieren und für den Kampf bewaffnen.

Der Kampf, den wir jetzt führen, ist nicht weniger wichtig und zukunftsentscheidend als die großen Kämpfe vor 25 Jahren, in denen der erste trotzkistische Kader gesammelt wurde. Angesichts dieser dringenden politischen Aufgaben verlieren Skandälchen und organisatorische Manöver jede Bedeutung. Durch eine kompromisslose politische Herausforderung wirst Du Deine Kräfte rasch zu einer Fraktion zusammenschweißen, die die zukünftige Bewegung in England sein wird.

Wenn wir zulassen, dass der Kampf noch eine Weile auf der jetzigen Ebene weitergeführt wird, dann riskierst Du zwangsläufig, dass Demoralisierung und Verwirrung Deine Bewegung zerrütten. Und gerade dies fürchten wir im Moment am meisten.

Die Wirksamkeit dieser veränderten Taktik konnten wir im Vorfeld ausprobieren, als es letzten Donnerstag hier in New York eine Debatte über den Generalstreik in Frankreich gab. In dieser Diskussion gingen wir zum ersten Mal an die heilige Kuh Pablo heran. Die Cochran-Anhänger schienen überrascht und schockiert zu sein, dass wir es wagten, während unsere eigenen Kräfte begeistert waren, dass der Kampf gegen Pablo endlich offen stattfindet. Die Überraschtheit der Cochran-Anhänger über unseren schneidenden Angriff auf Pablo bestätigt gewissermaßen unsere Einschätzung, dass er dachte, wir würden einen offenen Kampf nicht wagen. Er dachte, wenn er mit uns sein ausgefuchstes falsches Spiel treibt, könne er uns im internationalen Kampf so lange lahmlegen, bis er mit der britischen Partei genauso verfahren haben würde wie mit der französischen.

Das Wichtigste an der Diskussion war, wie eifrig unsere einfachen Mitglieder auf das Signal reagierten, dass wir jetzt den Krieg gegen den pablistischen Revisionismus und das Liquidatorentum in der Weltbewegung eröffnen. Wir denken, diese gesunde Reaktion werden all jene in der Bewegung an den Tag legen, die nicht vergessen haben, was sie von Trotzki lernten, und die, wie Du bereits mehrmals sagtest, darauf warten, dass die SWP das Wort ergreift.[15]

Während des gesamten Sommers 1953 weigerten sich die Cochran-Anhänger, die Autorität der SWP-Führung anzuerkennen, und sabotierten systematisch die Arbeit der Partei. Sie weigerten sich zum Beispiel, ihre Zeitung zu verkaufen oder Geld zu sammeln. Diese parteifeindliche Kampagne erreichte ihren Höhepunkt am 30. Oktober 1953, als sich die Cochran-Leute in New York weigerten, an einem Festessen zu Ehren des 25. Jahrestags der Gründung der trotzkistischen Bewegung in den USA teilzunehmen. Dieser öffentliche Boykott der Partei durch die Cochran-Anhänger war gleichbedeutend mit einer Spaltung, und die SWP-Führung betrachtete ihn als solche. Auf der Sitzung des Nationalkomitees vom 2.–3. November 1953 schloss die SWP Cochran, Clarke und alle anderen, die sich an dem Boykott beteiligt hatten, aus.

Cannon fasste in seiner abschließenden Rede vor dem Plenum des Nationalkomitees die Geschichte des langen Kampfs gegen Cochran und die Bedeutung der Spaltung zusammen:

Das Problem der Führung ist das ungelöste Problem der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt. Das einzige Hindernis zwischen der Weltarbeiterklasse und dem Sozialismus ist das ungelöste Problem der Führung. Das ist die »Frage der Partei«. Das ist es, was das »Übergangsprogramm« meint, wenn es erklärt, dass die Krise der Arbeiterbewegung in der Krise der Führung besteht. Das heißt, solange die Arbeiterklasse das Problem der Schaffung einer revolutionären Partei nicht löst, die der bewusste Ausdruck des historischen Prozesses ist und die Massen im Kampf führen kann, bleibt die Frage unentschieden. Es ist die wichtigste aller Fragen – die Frage der Partei.

Und wenn unser Bruch mit dem Pablismus – wie wir jetzt klar sehen – wenn er auf eine Frage hinausläuft und sich in einer Frage konzentriert, dann ist es diese: die Frage der Partei. Das scheint uns heute klar, denn wir haben die Entwicklung des Pablismus anhand seiner Taten verfolgt. Das Wesen des pablistischen Revisionismus besteht darin, dass der Bestandteil des Trotzkismus über Bord geworfen wird, der heute der wichtigste ist: die Auffassung, dass die Krise der Menschheit, als die Krise der Führung der Arbeiterbewegung, auf die Frage der Partei hinausläuft.

Der Pablismus will nicht nur den Trotzkismus vernichten, sondern jenen Bestandteil des Trotzkismus, den Trotzki von Lenin gelernt hat. Lenins größter Beitrag zu seiner ganzen Epoche war seine Idee und sein entschlossener Kampf, eine Partei der Vorhut aufzubauen, die fähig ist, die Arbeiter in der Revolution zu führen. Und er beschränkte seine Theorie nicht auf die Zeit seiner eigenen Tätigkeit. Er ging zurück bis 1871 und sagte, dass der entscheidende Faktor in der Niederlage der ersten proletarischen Revolution, der Pariser Kommune, das Fehlen einer Partei der revolutionären marxistischen Vorhut war, die der Massenbewegung ein bewusstes Programm und eine entschlossene Führung hätte geben können. Als Trotzki diesen Aspekt von Lenins Theorie 1917 akzeptierte, wurde er Leninist.

Dies fand Eingang in das Übergangsprogramm, dieses leninistische Verständnis der entscheidenden Rolle der revolutionären Partei. Und genau dies werfen die Pablisten zugunsten einer Auffassung über Bord, wonach die Ideen in die verräterischen stalinistischen oder reformistischen Bürokratien einsickern werden und irgendwie, »am Tage des Kometen«, die sozialistische Revolution ohne eine revolutionäre marxistische, d. h. eine leninistisch-trotzkistische Partei verwirklicht und zum Abschluss gebracht werden wird. Das ist das Wesen des Pablismus. Der Pablismus setzt Kult und Erleuchtung an die Stelle einer Partei und eines Programms.[16]


[1]

National Education Department Socialist Workers Party, Towards a History of the Fourth International, Juni 1973, Teil 4, Bd. 3, S. 110.

[2]

Ebd., S. 114.

[3]

Ebd.

[4]

Ebd., S. 126.

[5]

Ebd., S. 125.

[6]

Ebd., S. 130.

[7]

Ebd., S. 130–131.

[8]

Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen 1997, S. 132.

[9]

SWP, Towards a History, Teil 4, Bd. 3, S. 141.

[10]

Ebd., S. 142.

[11]

Ebd., S. 144.

[12]

Ebd., S. 128.

[13]

SWP, Towards a History, Teil 3, Bd. 2, S. 98.

[14]

SWP, Towards a History, Teil 4, Bd. 4, S. 150–151.

[15]

SWP, Towards a History, Teil 3, Bd. 2, S. 122–123.

[16]

James P. Cannon, Speeches to the Party, New York 1973, S. 181–182.