David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Die britischen Trotzkisten widersetzen sich einer prinzipienlosen Vereinigung

Die Entscheidung der SWP vom März 1957, eine Wiedervereinigung mit den Pablisten auf der Grundlage »konkreter« Übereinkünfte über unmittelbare Ziele und Aufgaben ernsthaft zu erwägen, ohne die politischen Differenzen zu diskutieren, die zur Spaltung von 1953 geführt hatten, stieß in der britischen Sektion des Internationalen Komitees, die von Gerry Healy geführt wurde, auf Opposition. In einem Brief vom 11. April 1957 an Tom Kerry, ein führendes SWP-Mitglied, gab Healy seine Bereitschaft zu verstehen, die vorgeschlagenen Diskussionen mit den Pablisten zu unterstützen, um deren »Einheitskrämerei« auf die Probe zu stellen. Doch er warnte: »Die grundlegenden methodischen Differenzen zwischen uns und Pablo bleiben bestehen und sind trotz der günstigen objektiven Situation nicht beseitigt worden. Diese Frage sollten wir restlos klarstellen und unter keinen Umständen versuchen, sie herabzumindern. Das könnte zu ernstlicher Fehlerziehung führen.«[1]

Einige Wochen später, am 10. Mai 1957, schrieb Healy einen ausführlichen Brief an Cannon, in dem er seine Bedenken gegen eine rein organisatorische Herangehensweise an die Frage der Wiedervereinigung darlegte:

Wir sehen keinen Grund, und damit wirst Du gewiss übereinstimmen, weshalb wir unsere Leute zu übereilten Schlussfolgerungen treiben sollten. Für unser Versagen, den durch und durch revisionistischen Charakter der Beschlüsse des Dritten Kongresses zu durchschauen, mussten wir teuer bezahlen. Die französische Sektion wurde aufgespalten, und wir fanden uns 1953 in Pablos organisatorischen Fallen wieder, was uns wiederum zu schnellem Handeln und dem »Offenen Brief« zwang. Heute wissen wir, dass nicht alle auf einen so scharfen Bruch vorbereitet waren. Wir mussten erneut einen Preis bezahlen, der auf internationaler Ebene sicherlich niedriger ausgefallen wäre, wenn wir rechtzeitig auf den Revisionismus aufmerksam geworden wären, den Pablo-Germain und Co. verkörperten. Es wäre ein großer Fehler, wenn wir uns in den Austausch organisatorischer Vorschläge verwickeln ließen, egal wie gut wir unsere ausarbeiten, und dabei die sehr tiefgreifenden politischen Differenzen übersähen …

Kürzlich sind wir die internen Dokumente unserer Weltbewegung seit Kriegsende durchgegangen, und es ist ganz klar, dass ein objektives Studium dieser Periode für die künftige Ausbildung unserer Kader von größter Wichtigkeit ist. Pablos und Germains doppelzüngiges Gerede führte teilweise zu einer verheerenden Fehlerziehung unserer Genossen auf dem Kontinent, und dies kann man nicht durch den einfachen Hinweis wieder in Ordnung bringen, dass die objektive Situation seit dem Zwanzigsten Parteitag sehr günstig für uns ist. Die marxistische Ausbildung unserer Kader muss berücksichtigen, wie sich Pablo und seine Tendenz entwickelten, genau wie Du dies in Deinen Büchern über den Kampf gegen Burnham und Shachtman getan hast. Dazu reicht die objektive Situation allein nicht aus. Unter den Tendenzen, die die KP verlassen, findet sich alles Mögliche von Opportunismus bis Sektierertum. Eine vereinigte trotzkistische Bewegung könnte zwar ein wichtiger Sammelpunkt sein, aber es würden sich mit einiger Wahrscheinlichkeit erneut eine ganze Reihe von verheerenden Spaltungen entwickeln, wenn sich diese Bewegung auf fehlende Klarheit und verwischte Differenzen begründet, selbst wenn wir in einer günstigen internationalen Situation arbeiten …

Unsere Meinung ist daher, dass sich das Internationale Komitee frei von allen organisatorischen Behinderungen theoretisch wappnen muss. Selbst wenn Pablo und Co. jedem einzigen eurer Punkte zustimmen würden, hätten die Mitglieder des IK trotzdem die Pflicht und die Verantwortung, ihre Dokumente zu den internationalen Perspektiven fertig auszuarbeiten und zur Diskussion zu stellen. Ein Weltkongress sollte nicht ohne hinreichende politische Vorbereitung überstürzt einberufen werden. All dies sollte in objektiver Weise geschehen, aber jeder sollte das Recht haben, sich frei zu äußern und die Fragen zu klären. Das heißt nicht, starrköpfigem Fraktionalismus freien Lauf zu lassen, aber Fakten sind Fakten, und man kann nicht mit taktischen Gefälligkeiten politische Differenzen aus der Welt schaffen. Internationaler Fortschritt ist nur auf einer festen politischen Grundlage möglich. Die britische Sektion wird niemals etwas zustimmen, das einer Klärung wesentlicher Fragen im Wege stehen könnte. Mit so etwas sind wir bedient seit der Sache mit Lawrence, als Pablo und Clarke zusammen das Büro in Paris leiteten. Immer wieder vertuschten wir sein prostalinistisches Verhalten als Herausgeber der »Socialist Outlook«, weil Pablos Zentrum es verlangte. »Geht nicht zu schroff mit diesem Genossen um«, sagten sie, »er ist empfindsam, er meint es gut, aber er ist ein bisschen verwirrt.« Im Interesse der Einheit fügten wir uns und bezahlten weiß Gott einen bitteren Preis dafür. Pablos »empfindsames« Lamm entpuppte sich als reißender stalinistischer Löwe, als der Klassendruck ihn vorantrieb, und beinahe vernichtete er die gesamte geduldige Arbeit von sieben Jahren. Ironischerweise bereitet eben dieser Lawrence, der die sowjetische Intervention in Ungarn rückhaltlos unterstützte, heute seinen Hinauswurf aus der Labour Party und seinen Eintritt in die Kommunistische Partei vor, die jeder Militante mit etwas Selbstachtung gerade verlässt …

Entscheidend ist in der gegenwärtigen Periode die Stärkung unserer Kader, und dies ist nur möglich durch eine gründliche Ausbildung in den Fragen des Revisionismus. Das ist die wichtigste bewusste Rolle, die unsere Bewegung übernehmen muss …

Während wir Euch all dies schreiben, sind wir uns darüber bewusst, dass wir, um einen englischen Ausdruck zu gebrauchen, »Kohlen nach Newcastle tragen«. Die hiesige Bewegung wurde hauptsächlich aufgrund der reichen Erfahrungen der SWP in ihrem langen Kampf für Prinzipien erzogen. Wir würden uns freuen, wenn wir heute aufgrund der günstigen Bedingungen, unter denen wir arbeiten, in die Lage kommen könnten, unseren amerikanischen Genossen zu helfen. Seit der Spaltung mit Pablo haben wir Fortschritte gemacht wie nie zuvor in unserer Geschichte. Die Schärfung unserer Prinzipien, eine direkte Errungenschaft aus der Spaltung, kam uns sehr zugute und brachte unsere Bewegung politisch auf Trab, so dass wir den Zwanzigsten Parteitag voll ausnutzen konnten.[2]

Wenn Healy diesen Brief heute nochmals durchginge, dann würde er wahrscheinlich bestreiten, ihn selbst verfasst zu haben. Der Kampf gegen den Pablismus kümmert ihn schon lange nicht mehr. Dies, so Healy, beschäftigt schließlich nur »Propagandisten«, »Sozialisten reinsten Wassers«, »trotzkistische Grüppchen« usw. Die Verteidigung von Programm und Perspektiven erachtet er heute für »reaktionär«. Nichts zählt, außer seiner eigenen »dialektischen« Erkenntnis – so nennt Healy betrügerisch, was in Wirklichkeit nichts weiter ist als die übliche Mischung aus Intuition und Verschlagenheit, die die politische Arbeit jedes pragmatischen Opportunisten anleitet.

Aber im Mai 1957 war Healy Trotzkist und verstand, dass eine revolutionäre Partei durch den unermüdlichen theoretischen, politischen und organisatorischen Kampf gegen den Revisionismus aufgebaut wird.

Die SWP-Führung empfand Healys Position als politische Drohung. Aber gerade in ihren Versuchen, ihn zur Unterstützung ihrer Wiedervereinigungsbestrebungen zu bewegen, sprachen sie ihren Opportunismus deutlicher aus. Am 27. Juni 1957 schrieb Farrell Dobbs an Healy:

Wir können leicht die Vorteile einer günstigen objektiven Situation einbüßen, wenn wir uns engstirnig fraktionalistisch verhalten oder irgendjemandem Anlass geben, dies von uns zu behaupten. Der pablistische Aufruf muss daher so beantwortet werden, dass außer Frage steht, dass wir für eine Einheit sind. Dies ist besonders wichtig, wenn eine Vereinigung plausibel und realistisch erscheint und eine Aufrechterhaltung der Spaltung immer schwerer zu rechtfertigen ist. Schon die Tatsache, dass die Presse der beiden Tendenzen sich ähnlich zu den großen Weltereignissen äußert, lässt uns keine Wahl, als unzweideutig zu sagen: »Ja, wir sind für Einheit.« …

Eine Vereinigung würde keineswegs bedeuten, dass wir die vorwiegend positiven Errungenschaften aus der Spaltung von 1953 aufgeben. Sie versetzte uns in die Lage, die liquidatorische Tendenz unter geringsten Verlusten zu überwinden. Sie entlarvte den Pablismus, seine politische Linie und seine organisatorischen Methoden. Sie begünstigte die Festigung unserer Tendenz und die Erarbeitung unserer eigenen politischen Linie zu den wichtigsten Weltproblemen in einer Reihe von Dokumenten, die dem Charakter und der Tradition des orthodoxen Trotzkismus Rechnung trugen. Keine dieser Errungenschaften wird in einer Vereinigung aufgegeben. Sie bleiben die Werkzeuge, mit denen wir arbeiten. Die Einheit wäre nur eine andere Form des Kampfs für dieselben Ideen, die zuvor zu einer Spaltung führten. Sie würde keine Zustimmung zu irgendeinem pablistischen Dokument bedeuten, weder des Dritten noch des Vierten Kongresses. Alle Dokumente, auch unsere eigenen, sind registriert und verzeichnet, genau wie die Weltrealität, die sie darstellen sollten. Wir denken, dass die Aufzeichnungen für unsere Tendenz sprechen.

Es würde steril erscheinen, heute über diese alten Dokumente zu diskutieren, denn man spräche über Ereignisse, die inzwischen Geschichte sind und neuen Ereignissen Platz gemacht haben, die untersucht und analysiert werden müssen. Wenn die Differenzen zwischen den Tendenzen wieder in den Vordergrund treten sollen, dann ist es viel besser, wenn sie sich auf neue Ereignisse und Situationen beziehen. Solche Auseinandersetzungen werden Neulinge in der Bewegung leichter verstehen, und die alten Mitglieder werden von dem Rechtfertigungszwang befreit und können sich leichter neu orientieren. Diejenigen, die die Spaltung mitgemacht haben, brauchen zurzeit keine solche Diskussion. Sie hatten sie, als sie von wirklicher Bedeutung war. Diejenigen, die bei der Spaltung nicht dabei waren, würden in einer solchen Diskussion nur einen sektiererischen Rückzug von der Welt, wie sie heute ist, sehen.[3]

Zum ersten Mal hatte die SWP den Kampf gegen den Pablismus mit »Sektierertum« in Verbindung gebracht. Aber Healy ließ sich nicht einschüchtern und wies Dobbs’ Argumente in einem Brief vom 2. Juli 1957 zurück:

Die große Mehrzahl unserer Mitglieder ist nach der Spaltung von 1953 rekrutiert worden. Es sind hauptsächlich erstklassige Leute, die sich sehr für die Geschichte unserer Bewegung interessieren. Wir haben dies nicht vernachlässigt und erst kürzlich den Ausbildungsaspekt unserer Arbeit stärker gewichtet. Wir haben nicht die Erfahrung gemacht, dass die Pablo-Frage Neulingen steril erscheint. Wenn sie ordentlich dargestellt wird, kann sie eine wertvolle Quelle von konkretem erzieherischem Wert sein.[4]

Die SWP wollte ganz offensichtlich jede Erwägung der grundlegenden Fragen, die zu der Spaltung geführt hatten, zugunsten einer trügerischen Wiedervereinigung abblocken. Die Tragweite der Differenzen zwischen ihrer und Healys Position kam in einer Resolution mit dem Titel »Die Situation in der trotzkistischen Weltbewegung« zum Ausdruck, die im Juni 1957 vom Dreizehnten Kongress der britischen Sektion verabschiedet wurde:

(1) Der 13. Kongress der britischen Sektion der Vierten Internationale ist der Auffassung, dass die internationale Vereinigung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (orthodoxe Trotzkisten) mit Tendenzen, die sich auf den Trotzkismus berufen, auf eine grundlegende Übereinstimmung in den Prinzipien und dem Programm der Vierten Internationale gegründet sein muss, so wie sie von dem verstorbenen Leo Trotzki und der Gründungskonferenz der Vierten Internationale 1938 niedergelegt wurden. Dies bedeutet die Zurückweisung aller Formen des Revisionismus in den Spielarten der Staatskapitalisten, Shachtmans oder Pablo-Deutschers und die Anerkennung des Prinzips, dass es notwendig ist, in allen Ländern der Welt Sektionen der Vierten Internationale aufzubauen, deren Ziel der Sturz des Imperialismus und die politische Revolution gegen die stalinistischen Bürokratien ist. Jedwede Form organisatorischer Einheit ohne grundlegende politische Übereinstimmung würde nur zu einer weiteren Serie von Spaltungen führen, die das internationale Wachstum und die Entwicklung unserer Bewegung außerordentlich behindern würde.

(2) Der Kongress stellt daher fest, dass es zur Erlangung der Einheit unerlässlich ist, genügend Zeit für die Diskussion der bestehenden Differenzen im Vorfeld der Vorbereitung eines Weltkongresses einzuräumen. Er beauftragt das neu gewählte Nationalkomitee, eine schriftliche Analyse der politischen Positionen unserer Bewegung nach dem Krieg und ein grundlegendes Dokument zu den internationalen Perspektiven auszuarbeiten, und zwar in Zusammenarbeit mit den Sektionen, die dem Internationalen Komitee angehören.

(3) Der Kongress ist der Meinung, dass die unmittelbare praktische Vereinigung Schritt für Schritt vollzogen werden muss. Er schlägt dem Internationalen Komitee vor, dass ein paritätisch besetztes Komitee aus Vertretern des Internationalen Komitees und Pablos ein Memorandum zu den Fragen erstellen sollte, über die grundlegende Übereinstimmung besteht. Dieses gemeinsame Organ sollte die Führung der Weltbewegung bilden, und seine erste Aufgabe sollte darin bestehen, den Vierten Weltkongress, den Vereinigungskongress vorzubereiten. Es würde diesem Kongress empfehlen, dass die internationale Führung für die nächste Periode in allen Komitees paritätisch besetzt wird und eher durch Überzeugung von Individuen und Sektionen als durch Anrufung der Disziplin der Statuten führt. Nur so können die Möglichkeiten einer prinzipientreuen Einheit der Vierten Internationale verwirklicht werden.[5]

Dieser Vorschlag widerlegt Hansens spätere Verleumdungen, die britischen Trotzkisten seien gegen eine Vereinigung gewesen. Healy war bereit, einer Wiedervereinigung auf der Grundlage einer ausführlichen Diskussion der grundlegenden Fragen, mit denen die trotzkistische Weltbewegung konfrontiert war, zuzustimmen – einer Diskussion, die sich unweigerlich mit den Differenzen hätte befassen müssen, die 1953 zur Spaltung geführt hatten.

Trotz der nach außen hin formalen Herzlichkeit ihrer Briefe gingen die britische Sektion und die SWP von entgegengesetzten Auffassungen aus und steuerten in völlig verschiedene Richtungen. Es ging nicht um einen Streit über taktische Fragen.

Wie wir bereits gezeigt haben, war die internationale Politik der SWP ein organischer Ausdruck ihrer Kapitulation vor dem Druck feindlicher Klassenkräfte in den Vereinigten Staaten. Die SWP entfernte sich immer weiter von der proletarischen Orientierung, auf die sich die Partei früher gegründet hatte, und hatte mit ihrer Umgruppierungspolitik bereits ein gutes Stück ihres Wegs zur kleinbürgerlichen Protest- und Reformpartei zurückgelegt.

Instinktiv spürten ihre Führer den Widerspruch zwischen den Erfordernissen ihrer Umgruppierungsarbeit in den Vereinigten Staaten, die sich auf prinzipienlose Zugeständnisse an Liberale, Stalinisten und kleinbürgerliche Demokraten jeglicher Couleur stützte, und den unerbittlichen politischen und theoretischen Notwendigkeiten des internationalen Kampfs gegen den Pablismus. Eine Brandmarkung des Pablismus bedeutete für die SWP eine Brandmarkung eben der Politik, die sie in den USA betrieb.

Cannons Wutausbruch gegen den von ihm so bezeichneten »fraktionellen Ultimatismus der Briten«, den er im Juli 1957 in einem Brief an Tom Kerry zu Papier brachte, bedeutete, dass die SWP-Führer die Entschlossenheit ihrer engsten Verbündeten im Internationalen Komitee, den Kampf gegen den Pablismus fortzuführen, inzwischen als ein Hindernis für die politischen Beziehungen betrachteten, die sie in den Vereinigten Staaten pflegten.

Den politischen Inhalt von Healys sogenanntem fraktionellem Ultimatismus bildete die mächtige Verbindung von unermüdlicher revolutionärer Arbeit in den Gewerkschaften und der Labour Party und intensivem Eingreifen in die stalinistische Krise auf der Grundlage einer Verteidigung des historischen, programmatischen und theoretischen Erbes des Trotzkismus. Durch eine Untersuchung der Entwicklung der britischen Sektion können wir diese Einschätzung untermauern. Leider sind wir dabei gezwungen, zu dem Schwulst des Schwadroneurs Michael Banda zurückzukehren. Wie alle Abtrünnigen erfüllt ihn ein fast neurotischer Hass gegen seine eigene Vergangenheit.

In seinen »27 Gründen« gibt Banda eine Darstellung der Geschichte der britischen Sektion während der späten fünfziger Jahre, die politisch ebenso zusammenhangslos wie unaufrichtig ist. Sein giftiger Subjektivismus erlaubt ihm nicht, die großen Fortschritte der britischen Trotzkisten, zu denen er selbst keinen geringen Beitrag leistete, in dieser entscheidenden Periode anzuerkennen. Banda schreibt:

Die SLL war weit von einer revolutionären Orientierung entfernt. Sie passte sich an den kümmerlichen Syndikalismus von Brian Behan, Pennington u. a. an. Healy machte aus der Not eine Tugend, indem er sich den Ex-KPlern zuwandte, die aus der Krise des Stalinismus 1956–1957 herstammten, aber er hatte weder für das IK noch für die SLL irgendwelche Perspektiven. Ein sorgfältiges Studium der Literatur von 1957 bis 1960 (»Newsletter« und »Labour Review«) wird zeigen, dass die SLL eine eindeutig syndikalistische Linie verfolgte, die pragmatisch mit Artikeln über Marxismus der Gen. Kemp, Slaughter und anderer kombiniert wurde.

Nicht einmal die Chronologie der Ereignisse stimmt in Bandas lässiger Skizze dieser kritischen Periode in der Entwicklung der trotzkistischen Bewegung. Die Socialist Labour League wurde erst im Februar 1959 gegründet, und zwar als direktes Produkt der machtvollen und unermüdlichen dreijährigen Offensive gegen den Stalinismus, zu der die britischen Trotzkisten sofort angesetzt hatten, als Chruschtschows »Geheimrede« bekannt geworden war.

Bandas höhnische Bemerkung über Healys entscheidende Rolle, als er die Anfang 1956 sehr geringen Kräfte des britischen Trotzkismus, damals bekannt als die »Gruppe«, auf die Krise des Stalinismus orientierte, ist einfach absurd. Wenn jemand die historische Notwendigkeit erkennt, dann ist dies in den Augen von Marxisten ein politischer Vorzug.

Man muss es Healy als Revolutionär hoch anrechnen, dass er 1956–1957 das Eingreifen unter stalinistischen Arbeitern und Intellektuellen organisierte. Die Tatsache, dass er dies tat – woraufhin Leute wie Peter Fryer, Cliff Slaughter und Tom Kemp rekrutiert wurden –, widerlegt an sich schon Bandas Behauptung, Healy habe »weder für die SLL noch für das IK irgendwelche Perspektiven« gehabt. Der wirkliche Kern von Bandas Bezichtigung besteht darin, dass er die Perspektive verworfen hat, die während dieser Periode Healys und seine eigene Arbeit anleitete: den Aufbau der Vierten Internationale.

Was seine Behauptung angeht, Healy habe sich »an den kümmerlichen Syndikalismus von Brian Behan, Pennington u. a.« angepasst, so spricht Banda jedes Mal, wenn er revolutionäre Aktivitäten in den Gewerkschaften erwähnt, nur von »Syndikalismus« oder »rückständigen Syndikalisten«. Er entlarvt damit nur seine eigene Verachtung für die Arbeiterbewegung, nicht aber Healys angeblich falsche Politik in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung.

Außerdem sieht Banda sich genötigt, Healys Kampf für eine marxistische Orientierung hin zur Arbeiterklasse als »kümmerlichen Syndikalismus« zu denunzieren, weil er wie üblich die Klassenfragen verschleiern will, die allen Konflikten innerhalb der Vierten Internationale zugrunde liegen.

Die Tatsache, dass sich die britischen Trotzkisten so eifrig an den Tageskämpfen der Arbeiterklasse beteiligten, war kein geringer Faktor in der Entwicklung des Kampfs zwischen ihnen und der Socialist Workers Party. Die trotzkistische »Gruppe« arbeitete intensiv innerhalb der Labour Party und unter den militantesten Arbeiterschichten – zum Beispiel unter den Mitgliedern der »blauen Gewerkschaft« (Schauermänner und Hafenarbeiter) im Kampf gegen die rechte Führung der Transportarbeitergewerkschaft T&GWU.

Die Zeitung »Newsletter«, die 1957 aus dem Eingreifen der Trotzkisten in die Krise des britischen Stalinismus heraus gegründet wurde, diente als mächtige Waffe im Kampf für Marxismus in der Arbeiterklasse und gewann wirklichen Einfluss unter den fortgeschrittenen Arbeitern, die gegen den Verrat der Gaitskell-Führung in der Labour Party kämpften. Ihre Kampagnen gewannen breite Unterstützung bei militanten Arbeitern und versetzten die Bürokratie des Trades Union Congress (TUC) und der Labour Party in Wut. Hunderte von Arbeitern besuchten die gewerkschaftlichen Mitgliederkonferenzen, die von »Newsletter« veranstaltet wurden. Gerade weil die britischen Trotzkisten im Gegensatz zur SWP ihre Praxis auf den Kampf für den Marxismus in der Arbeiterklasse ausrichteten und für den Aufbau einer revolutionären Alternative zur Sozialdemokratie und ihren stalinistischen Komplizen kämpften, lehnten sie jeden politischen und theoretischen Kompromiss mit dem Pablismus ab.

Die gegensätzliche Orientierung der britischen Trotzkisten und der SWP kam sehr klar in ihren völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krise in der stalinistischen Bewegung zum Tragen.

Während die Umgruppierungspolitik der SWP in der Praxis rasch zu einer Preisgabe ihrer unabhängigen trotzkistischen Identität führte, um sich im breiten kleinbürgerlichen Milieu von Ex- und Halbstalinisten Freunde zu machen, gingen die britischen Trotzkisten in eine machtvolle Offensive für die Ideen der Vierten Internationale. Healys Organisation strebte zwar eine möglichst breite Diskussion mit allen Kräften, Arbeitern und Intellektuellen an, die von der stalinistischen Krise betroffen waren, schloss aber keine prinzipienlosen Kompromisse, um sich salonfähig zu machen. Während die SWP also den Kampf gegen den Pablismus schließlich als Peinlichkeit und Mühlstein um den Hals empfand, betrachteten ihn die Briten als theoretische Speerspitze ihrer Offensive gegen den Stalinismus.

Man muss sich nur die im Januar 1957 gegründete Zeitschrift »Labour Review« vornehmen, und schon sieht man den gewaltigen Unterschied zwischen der Arbeit der Briten und derjenigen der SWP. Die erste Ausgabe der »Labour Review« begrüßte die intellektuelle Gärung, die durch die Explosion in der stalinistischen Bewegung hervorgerufen worden war:

Von nun an wird die normale Entwicklung marxistischer Ideen nicht länger künstlich von bürokratischen Dämmen zurückgehalten. Millionen von Arbeitern und Intellektuellen in jedem Land, von Russland bis hin zu den USA, treten in den Kampf. Sie verlangen nach Wissen über die vergangene Geschichte ihrer Bewegung, denn sie brauchen es. Diese jungen Leute wollen denken, lernen, ihre politische Initiative gebrauchen. Bürokratische »Verbote« und »Kult« stoßen sie ab. Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen, die Antworten zu finden. Die »Labour Review« nimmt daher die Auseinandersetzung mit den offenen fabianischen Feinden des Marxismus und mit den stalinistischen Lumpen auf, die seinen Ruf so übel durch den Dreck gezogen haben.

Unter anderem wird es notwendig sein, die fabianischen Träume über den Kapitalismus zu diskutieren, der angeblich dank Keynes, dank teilweiser Verstaatlichung, »neuer« kolonialer Verfassungen oder des Reichtums des US-Imperialismus neue Lebenschancen habe.

Neben der Diskussion über das Fabianertum werden wir uns mit der stalinistischen »friedlichen Koexistenz« mit dem Kapitalismus befassen sowie deren kraftlosem, aber widerlichem Resultat – dem Programm der britischen Kommunistischen Partei, »Der britische Weg zum Sozialismus«. Wie und warum entstand der Stalinismus? War sein Aufstieg unvermeidbar? Bedeutet die Diktatur des Proletariats wirklich eine abscheuliche und mordende Tyrannei? Bedeutet demokratischer Zentralismus wirklich die Selbstherrschaft einer Clique von Hauptberuflichen? Dies sind einige der Fragen, die wir in den kommenden Monaten zu beantworten versuchen.

Wenn wir die Fruchtlosigkeit fabianischer Politik diskutieren, wird es auch notwendig sein, die Gründe für Hitlers Sieg über die deutsche Arbeiterklasse und für das Versagen der französischen und spanischen Volksfrontregierungen zu untersuchen. Wir werden versuchen, den Zusammenhang aufzudecken, der zwischen der Parole »Sozialismus in einem Land« und diesen Katastrophen für die internationale Arbeiterbewegung besteht, und wie dies zu den Moskauer Prozessen, dem Hitler-Stalin-Pakt, der Verschacherung Europas in Jalta und schließlich zum Massenmord an Arbeitern und Bauern in den osteuropäischen Satellitenstaaten führte. Wir werden Lenins Schriften über den Charakter und die Zukunftsaussichten der Russischen Revolution aus der Versenkung hervorholen, in der Stalin sie verschwinden ließ, und wir werden einige der Arbeiten Trotzkis, Lenins Kampfgenossen in der Russischen Revolution, veröffentlichen, die für die Probleme von heute von unmittelbarer Bedeutung sind.

Die »Labour Review« lädt daher alle ernsthaften Schüler der sozialistischen Bewegung zur Mitarbeit ein. Unsere Seiten stehen ihnen völlig offen. Insbesondere hoffen wir auf enge brüderliche Beziehungen zu den entstehenden sozialistischen Bewegungen in Asien und Afrika. Trotzdem wird die »Labour Review« nicht einfach ein Diskussionsforum sein. Sie wird zu einer Waffe im Kampf gegen kapitalistische Ideen geschmiedet, wo immer sie in der Arbeiterbewegung auftreten. Sie wird objektiv sein und doch parteiisch; sie wird die großen Prinzipien des wirklichen Kommunismus, wie sie von Marx, Engels, Lenin und Trotzki entwickelt wurden, gegen die Fabianer und Stalinisten verteidigen, die sie ausnahmslos verfälschen.[6]

Die erste Ausgabe der »Labour Review« stieß auf großes Interesse und rief Auseinandersetzungen hervor. Gegen die neue Zeitschrift wurde unter anderem der Vorwurf des »Sektierertums« erhoben, womit die Kritiker das klare Bekenntnis der »Labour Review« zum Trotzkismus meinten, obwohl ihre Seiten Vertretern anderer politischer Tendenzen offenstanden. Die zweite Ausgabe der »Labour Review« veröffentlichte eine Antwort, dergleichen man in den Publikationen der SWP aus dieser Periode einfach vergebens suchte:

Um auf die Frage des Trotzkismus zurückzukommen. Wir verstehen den Standpunkt vieler Mitglieder und Exmitglieder der Kommunistischen Partei, dass die Frage, ob die bestmögliche wissenschaftliche Erklärung für die Ereignisse in den letzten dreißig Jahren der sozialistischen Bewegung von Trotzki stammt oder nicht, eine Frage der Diskussion und Auseinandersetzung sei. Trotzki und seine Anhänger haben eine ernsthafte Analyse der jüngsten Geschichte der sozialistischen Bewegung vorgelegt. Ihre Schriften sind ein Versuch, nach Lenins Tod in einer Periode von Niederlagen der Revolution die marxistische Tradition in der Gesellschaftswissenschaft fortzusetzen. Sie haben eine reiche Literatur und Ideen hervorgebracht, die sich mit der Anwendung marxistischer wissenschaftlicher Analysemethoden auf die Probleme der internationalen sozialistischen Bewegung befassen und es wert sind, von jedem gebildeten Sozialisten ernsthaft studiert zu werden.

Darüber hinaus besteht die Bedeutung des »Trotzkismus« in der großen Auseinandersetzung nach Chruschtschows Rede darin, dass er der bisher einzige Versuch ist, vom Standpunkt des Marxismus aus die stalinistische Degeneration der Sowjetunion zu erklären und die Bedeutung des Widerspruchs zu bewerten, der zwischen dem progressiven Charakter des verstaatlichten Eigentums und dem reaktionären Charakter der das Land regierenden Bürokratie herrscht. Bis heute bietet der Trotzkismus die einzige Erklärung, weshalb die Weltarbeiterklasse die UdSSR gegen imperialistische Angriffe verteidigen und gleichzeitig den russischen Arbeitern helfen muss, die Bürokratie loszuwerden, die sie autokratisch beherrscht. Trotzki war es, der darauf bestand, dass die Bürokratie nicht freiwillig ihre Privilegien aufgeben oder sich unter dem Druck der Massen liberalisieren werde. Wieder und wieder erklärte er, dass sie von der revolutionären Arbeiterklasse unter marxistischer Führung gestürzt werden muss. Ungarn hat gezeigt, wie recht Trotzki damit hatte. Uns ist kein einziges jüngeres Ereignis aus der UdSSR bekannt, das die Richtigkeit seiner Analyse nicht bestätigt.

Auch die gegenwärtige Krise in den Kommunistischen Parteien außerhalb der Sowjetunion ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Bürokraten, die diese Parteien kontrollieren, absolut unfähig sind, sie in wirklich revolutionäre Parteien zu verwandeln, egal in welche Schwierigkeiten Chruschtschows Rede sie gebracht haben mag. Wie die sowjetische Bürokratie, die sie vertreten, können sich diese Parteien niemals eine revolutionäre Politik zu eigen machen. Das ist der Grund, weshalb sie jetzt in eine Reihe von Fraktionen zerfallen sind, die alle in erbitterten Kämpfen mit den Bürokraten stehen.

Trotzkis Theorie war die einzige marxistische Theorie, die, inspiriert von Lenin, entlarvte und erklärte, was Chruschtschow später enthüllte – zu einer Zeit, als Kommunisten und falsche »Freunde« der Sowjetunion ihre politischen Seelen Stalin verschrieben. Aus diesem Grund hat Trotzkis theoretische Erklärung des Stalinismus so lange Gültigkeit, bis jemand eine bessere vorlegt. Denn alle Marxisten suchen heute nach einer Erklärung für den Stalinismus, die wissenschaftlicher ist als Chruschtschows »Satanskult« oder Mao Zedongs eklektischer Katalog von »Fehlern« und »Erfolgen«.

Einige Leute sagen, es bestehe die Gefahr, die britische sozialistische Bewegung von 1957 in eine Diskussion über die relativen Vorzüge der einen oder anderen Seite einer sterilen, unverständlichen politischen Kontroverse zweier Sekten der Kommunistischen Partei Russlands hineinzuziehen, die vor langer Zeit in den zwanziger Jahren im weit entfernten Russland ausgefochten wurde. Dies werde unsere Aufmerksamkeit von den dringenden Problemen des heutigen England ablenken. Diesen unseren einheimischen Empirikern müssen wir leider sagen, dass in Wahrheit auf die eine oder andere Weise, ob es uns passt oder nicht, die Zukunft des Sozialismus in jedem Teil der Welt heute unentrinnbar mit der Oktoberrevolution von 1917 und ihrem Resultat verbunden ist. Wir können ihrer Gegenwart nicht entkommen, wie sehr wir es auch versuchen mögen. Die »russische Frage« bleibt nach wir vor die Schlüsselfrage für Marxisten, die eine richtige Theorie für die sozialistische Bewegung in England heute ableiten wollen …

Das Ziel der »Labour Review« besteht kurz gesagt darin, den Marxismus zu entwickeln, und nicht, ihn zu revidieren – ein Unterschied, wie Lenin seiner Generation zeigte.[7]

Es gab einen weiteren entscheidenden Unterschied zwischen dem jeweiligen Verhalten der Briten und der Amerikaner gegenüber der Krise in den stalinistischen Organisationen. Der Umgruppierungspolitik der SWP fehlte jeder Zusammenhang mit der Ausarbeitung revolutionärer Perspektiven für die amerikanische Arbeiterklasse, die in Wirklichkeit mit dieser Linie aufgegeben wurde.

Dies äußerte sich unter anderem darin, dass es der SWP nicht gelang, eine objektive Analyse der speziellen neuen Formen zu erstellen, die die Krise des amerikanischen und internationalen Kapitalismus in der Nachkriegsperiode annahm. Besonders unter Bedingungen, wo der Kapitalismus dem ungeübten Auge unbezwingbar erschien, fiel den Marxisten die Verantwortung zu, die Widersprüche aufzudecken, die zu einer neuen Krise und zu einem neuen Aufflammen des Klassenkampfs heranreiften.

Diese theoretische Arbeit war umso notwendiger, um die Tendenzen zu bekämpfen, die unter dem Deckmantel der Umgruppierung mit aller Gewalt darauf hinwirkten, dass die SWP ihre traditionelle »proletarische Orientierung« aufgebe. Sie behaupteten beharrlich, es gebe außerhalb des kleinbürgerlichen Protestmilieus keine ernsthaften Möglichkeiten für Parteiarbeit.

Es stimmt natürlich, dass die SWP unter relativ ungünstigen Bedingungen arbeitete. Aber die materiellen Voraussetzungen für die Überwindung der Isolation entwickelten sich aus den Widersprüchen des kapitalistischen Systems und den Kämpfen der Arbeiterklasse. Konkret zeigten sie sich in dem gewaltigen, 116-tägigen landesweiten Stahlstreik von 1959.

Das Ausmaß der Differenzen zwischen der SWP und den Briten zeigte sich in der Reaktion der Amerikaner auf eine Konferenz des Internationalen Komitees, die im Juni 1958 in Leeds stattfand. Farrell Dobbs, der sich gerade auf einer langen Reise durch Europa befand, nahm an der Konferenz teil. Sie verabschiedete eine Resolution, in der die Prinzipien zusammengefasst wurden, auf die sich der Kampf gegen Pablo gestützt hatte. Nachdrücklich zurückgewiesen wurden darin »alle Auffassungen, nach denen der Druck der Massen die Krise der Führung lösen kann, indem er Reformen von dem bürokratischen Apparat« in der Sowjetunion und Osteuropa erzwingt.[8]

Außerdem wurde in der Resolution eine Auffassung von Umgruppierung vertreten, die derjenigen der SWP diametral entgegengesetzt war. Sie bestand darauf, dass in der revolutionären Bewegung die »Umgruppierung der Kräfte, die sich in Richtung Revolution bewegen, geknüpft ist an eine ideologische Offensive gegen den Stalinismus, die Sozialdemokratie, den Zentrismus, die Gewerkschaftsbürokratie und die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führungen der nationalen Bewegungen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern«.[9]

Als die SWP-Führung in New York diese Resolution erhielt, beorderte sie Dobbs von seiner Europareise zurück in die Vereinigten Staaten. In einem Brief an Dobbs vom 18. August 1958 machte Tom Kerry kein Hehl aus seiner Unzufriedenheit mit dem Ergebnis der IK-Konferenz und Dobbs’ Teilnahme daran. Kerry warf Dobbs vor, er habe sich nicht an die Anweisungen gehalten, die man ihm vor seiner Abreise nach Europa erteilt habe, und erinnerte ihn: »Als wir erstmals erfuhren, dass das IK für Juni 1958 einen Kongress einberief, erhoben wir den Einwand, ein solches Projekt sei zu prätentiös und entspreche nicht den Aufgaben und Perspektiven, derer die orthodoxe trotzkistische Bewegung in ihrer jetzigen Entwicklungsstufe bedürfe.«[10]

Kerry argumentierte, die Arbeit des IK hätte sich auf eine Diskussion über die Umgruppierung – wahrscheinlich der liquidatorischen, wie sie die SWP betrieb – und über eine Wiedervereinigung mit den Pablisten beschränken sollen. Stattdessen, klagte Kerry erbittert:

Dem Charakter der Dokumente [die auf der Konferenz in Leeds verabschiedet wurden] entnehmen wir, dass sie eine Diskussion um die Fragen von 1953 beinhalten, die schon längst von Ereignissen ­überholt wurden, über die im Wesentlichen politische Übereinstimmung ­besteht. Dabei gibt es eine wichtige Ausnahme, die den Charakter der internationalen Organisation und ihre Funktion im gegen­wärtigen Entwicklungsstadium der trotzkistischen Weltbewegung betrifft.

Wir dachten, wir hätten allgemeine Übereinstimmung, dass eine Diskussion über die Fragen von 1953 – natürlich mit Ausnahme der »Organisationsfrage« – nicht nur fruchtlos wäre, sondern berechnend darauf abzielte, die bestehende Entzweiung der Weltbewegung zuzuspitzen und eine Wiedervereinigung praktisch unmöglich zu machen. Im Lichte des Kampfs für die Umgruppierung schien es uns, dass eine solche Diskussion die Umgruppierungsarbeit nur komplizieren und vergiften kann, besonders in Gebieten, wo unsere Tendenz direkt mit den organisierten pablistischen Gruppierungen konfrontiert ist …

Beinahe sechs Monate sind seit Deiner Abreise vergangen. Zweifellos hast Du, seit Du das Land verlassen hast, viele Erfahrungen gemacht, von denen wir gar nichts wissen. Gleichzeitig hat sich hier einiges ereignet, das über schriftliche Korrespondenz nicht angemessen diskutiert werden kann …

Dem Inhalt dieses Briefs kannst Du entnehmen, dass es offensichtlich Missverständnisse und vielleicht sogar einige Differenzen hinsichtlich der wichtigen Fragen von Aufgaben und Perspektiven gibt. Jims Gedanken kennen wir nicht, denn er hat sich uns gegenüber noch nicht zu den Fragen geäußert, die in diesem Schreiben angesprochen werden.[11]

Kerrys Argumente waren zynisch und in sich widersprüchlich. Wenn eine so beträchtliche Übereinstimmung zwischen dem Internationalen Komitee und dem Internationalen Sekretariat herrschte, weshalb war es dann so gefährlich, die politischen Differenzen von 1953 zu diskutieren? Der Ärger, mit dem Kerry auf die IK-Resolution reagierte, bezeugte, dass er sehr wohl wusste, wie die vorgetäuschte politische »Übereinstimmung« entlarvt würde, sobald man sich mit den Pablisten über grundlegende Fragen der historischen Perspektiven der Vierten Internationale auseinandersetzen würde.

Rückblickend kann man verstehen, wovon Kerry sprach, als er Dobbs zu verstehen gab, es habe sich »hier vieles ereignet, was über schriftliche Korrespondenz nicht angemessen diskutiert werden kann«. Das war in der Periode, als die SWP mitten in ihrem prinzipienlosen Wahlbündnis mit den kleinbürgerlichen Unterstützern einer »unabhängigen sozialistischen« Kampagne steckte. Zweifellos fand es Kerry schwierig, eine volle Beschreibung all der politischen Hirnlosigkeit zu Papier zu bringen, mit der die SWP hinter den Kulissen manövrierte und ihr trotzkistisches Erbe zum alten Eisen warf.

Dobbs leitete diesen Brief an Healy weiter, der Kerry antwortete:

Es ist schwer verständlich, wie man die Ereignisse von 1953 vergessen soll. War das alles ein Missverständnis, oder bestanden ernste politische Differenzen zwischen uns und Pablo? Du gehst so weit, anzudeuten, diese seien beseitigt, aber unserer Meinung nach bist Du in diesem Punkt falsch informiert und hast Pablos Dokumente zwischenzeitlich nicht hinreichend studiert.

So sehr wir vielleicht eine abstrakte Diskussion über 1953 vermeiden wollen, kann man sich doch unmöglich vorstellen, dass eine Diskussion über aktuelle Fragen nicht früher oder später zu Bezugnahmen auf 1953 führen würde …

Die Konferenz in Leeds hat beschlossen, die Kräfte des orthodoxen Trotzkismus durch die Vorbereitung einer ernsthaften Diskussion über die Probleme unserer Bewegung zu festigen. Was ist an dieser Vorgehensweise auszusetzen? Wäre dies nicht ein notwendiger und grundlegender Bestandteil jeder prinzipientreuen Wiedervereinigung? … Das Internationale Komitee wird jede Gelegenheit wahrnehmen, zu einer prinzipiellen Vereinigung zu kommen, und wir meinen, dass die Beschlüsse der Konferenz von Leeds Deine uneingeschränkte Unterstützung verdienen. Außerdem, meinen wir, muss man anerkennen, dass das Problem der Wiedervereinigung ein politisches Problem ist und die Klärung aktueller Perspektiven und Methoden beinhaltet.[12]

Auf dieser prinzipiellen Grundlage übernahmen die britischen Trotzkisten die Führung im Kampf für den Aufbau der Vierten Internationale, als die SWP-Führung diese Verantwortung eindeutig aufgab und kläglich vor dem Revisionismus kapitulierte.


[1]

National Education Department Socialist Workers Party, Education for Socialists: The Struggle to Reunify the Fourth International (1954–63), Bd. 3, Juli 1978, S. 31.

[2]

Ebd., S. 32–34.

[3]

Ebd., S. 37.

[4]

Ebd., S. 38.

[5]

Ebd., S. 36. Auch in: Slaughter (Hrsg.), Trotskyism Versus Revisionism, Bd. 3, S. 37–38.

[6]

Labour Review, Bd. 2, Nr. 1, Januar 1957, S. 2–3.

[7]

Ebd., Bd. 2, Nr. 2, März–April 1957, S. 35–36.

[8]

National Education Department Socialist Workers Party, Education for Socialists: The Struggle to Reunify the Fourth International (1954–63), Bd. 4, November 1978, S. 9.

[9]

Ebd.

[10]

Ebd., S. 11.

[11]

Ebd., S. 11–12.

[12]

Ebd., S. 12–13.