David North
Das Erbe, das wir verteidigen

Hansen erniedrigt die marxistische Theorie

Am 14. Januar 1961 gab Hansen dem Politischen Komitee der SWP einen Bericht zur Unterstützung seines »Thesenentwurfs«. Dieser Bericht und die zustimmenden Bemerkungen der anderen Mitglieder des Politischen Komitees zeigten zumindest, wie tief die SWP auf theoretischem Gebiet gesunken war. Ungeachtet der Resolution des Achtzehnten Kongresses kehrte die SWP mit ihrer Kubapolitik, wenn auch in etwas anderer Form, zu der ursprünglichen rechten Orientierung der Umgruppierungskampagne zurück. Die Gründe, mit denen Hansen erklärte, weshalb die SWP auf der Stelle sagen müsse, ob sie Kuba für einen Arbeiterstaat halte oder nicht, waren eindeutig geprägt von der Reaktion der Parteiführung auf den Druck der öffentlichen Meinung in der Mittelklasse und radikalen Kreisen:

Persönlichkeiten wie Sartre, sehr bedeutende intellektuelle Persönlichkeiten haben Stellung bezogen. Hat er recht oder nicht? Und C. Wright Mills. Sicher habt Ihr alle »Listen, Yankee« gelesen. Zumindest alle in diesem Raum Anwesenden haben »Listen, Yankee« gelesen. Gut, hat er also recht oder nicht? Eine große, wichtige Persönlichkeit der akademischen Welt der Vereinigten Staaten hat eine Einschätzung der kubanischen Revolution gegeben. Wir stehen jetzt vor der politischen Notwendigkeit, zu beantworten, welche Position wir einnehmen. Huberman und Sweezy haben sich geäußert. Stimmen wir ihnen zu oder nicht? Die Kommunistische Partei hat einen Standpunkt zum Charakter der Revolution. Wie stellen wir uns dazu – stimmen wir mit ihnen überein oder nicht?

Mit anderen Worten, wir stehen jetzt politisch unter Druck, eine endgültige Entscheidung über die wichtigsten Charakteristika dieser Revolution herbeizuführen. Letztendlich läuft es auf folgende Frage hinaus: Sollten wir in die Auseinandersetzung zwischen all diesen Strömungen und Persönlichkeiten eingreifen, oder sollten wir uns aus dieser Ausein­andersetzung heraushalten und noch länger abwarten, bevor wir eine Position beziehen? Wenn wir das tun, nehmen wir politisch Schaden. Die politische Notwendigkeit zwingt uns, uns mit der theoretischen Seite der Revolution zu befassen.[1]

Ohne jede Scham gab Hansen zu, dass die Besessenheit der SWP mit den kubanischen Ereignissen – die später als Rechtfertigung ihrer Spaltung vom IKVI herhalten mussten – hauptsächlich auf praktische Erwägungen zurückging, die ihrerseits von dem Wunsch der SWP bestimmt waren, engere Bindungen zur radikalen (und weniger radikalen) amerikanischen kleinbürgerlichen Intelligenz zu schaffen, die Hansen als »große, wichtige« Leute bezeichnete!

Exemplarisch zeigte sich die vulgäre Beschränktheit von Hansens Denken in der Art und Weise, wie er das Politische Komitee vom proletarischen Charakter des kubanischen Staats überzeugen wollte. Seine Darstellung liest sich beinahe wie eine Satire auf die pragmatische Methode, mit der Verallgemeinerungen auf Zufallsbeobachtungen gegründet werden.

Unsere Schlussfolgerungen sind also keine Spekulation, keine Hochrechnungen und gründen sich auf keinerlei politisches Vertrauen in das zukünftige Verhalten des Regimes dort unten. Unsere Charakterisierungen widerspiegeln einfach die Tatsachen. Die Tatsache, dass die Kapitalisten in Kuba enteignet wurden. Die Tatsache, dass eine Planwirtschaft eingeführt wurde. Die Tatsache, dass dort ein qualitativ verschiedener Staatstyp besteht. Egal, wie man diese Dinge bezeichnet, es sind Tatsachen, von denen jeder ausgehen muss. So ist die Lage.[2]

Hansen führte diese »Tatsachen« an, ohne sie kritisch zu analysieren. Wie das Internationale Komitee später erklärte, war die Art und Weise, wie Hansen die »Tatsachen« als unabhängige Wahrheitsinstanz ansah, die eines unerschütterlichen Pragmatikers. Er untersuchte nicht die analytischen Begriffe, die er, bewusst oder unbewusst, schon bei der Abstrahierung dieser »Tatsachen« anwendete. Die Enteignung der Kapitalisten erklärte an sich noch nicht den Klassencharakter der Enteignungen. Der Hinweis auf die Anfänge einer Wirtschaftsplanung war ebenso abstrakt, denn er analysierte nicht die Grundlage und Perspektive von Castros »Planung«. Und die Geschichte hat seither gezeigt, dass ohne systematische Industrialisierung und ohne die Befreiung Kubas von einer Wirtschaft, die sich auf die Monokultur von Zuckerrohr gründet, wissenschaftliche Planung nicht möglich ist.

Aber am abstraktesten war Hansens Bezeichnung »qualitativ verschiedener Staatstyp«. Verschieden wovon? Das sagte Hansen nicht. Man sollte ihm diese Aussage einfach glauben. Natürlich konnten sich die meisten Mitglieder des Politischen Komitees in etwa vorstellen, wovon Hansen sprach. Bei seinen Worten kam ihnen vermutlich das malerische Bild bewaffneter Guerilleros in den Sinn. Dieses bot, kein Zweifel, einen ganz anderen Anblick als das Polizeihauptquartier von New York. Aber bewaffnete Guerilleros und Volksmilizen an sich bestimmen noch nicht den Klassencharakter der Staatsmacht und beweisen noch nicht die Existenz eines nichtbürgerlichen Staatstyps. Die Entstehung solcher Organe im Verlauf demokratischer Volksrevolutionen ist nichts Ungewöhnliches. Was den Staat, der aus der Russischen Revolution hervorging, »qualitativ verschieden« machte, waren nicht bewaffnete Milizen, sondern die Sowjetform, durch die das Proletariat herrschte.

Die »Tatsachen«, die Hansen zum Ausgangspunkt seiner Analyse erklärte, waren also das Ergebnis unausgesprochener begrifflicher Voraussetzungen (kleinbürgerlichen, nichtmarxistischen Charakters), unberechtigter Annahmen und unverdauter Impressionen.

Hansens Darstellung führte vom Regen in die Traufe. Wie ein zynischer Advokat, der ein Geschäft unter Dach und Fach bringen will – diese Art der Darstellung war Hansens Spezialität –, führte er dann die »Tatsachen« auf, über die sich alle vernünftigen Männer und Frauen in der SWP-Führung einigen sollten:

Ich will den Inhalt der Thesen nicht wiederholen, die vor Euch liegen, denn ich denke, dass jeder sie gelesen und studiert hat. Aber ich möchte Euch einige Überlegungen vortragen, wovon Ihr gewiss einigen zustimmen werdet, anderen vielleicht auch nicht, und dazu einige Überlegungen, die meiner persönlichen Meinung entsprechen. Lasst mich also zunächst zu dem kommen, womit Ihr meiner Meinung nach, was Kuba betrifft, alle übereinstimmen werdet, bevor ich zu der spekulativen Seite komme, wenn sie denn spekulativ ist. Am Anfang einer Diskussion ist es sehr wichtig, dass wir uns über unsere Gemeinsamkeiten verständigen. Das erleichtert die Diskussion sehr. Das gilt, egal welche Nuancen die verschiedenen Positionen aufweisen.

Die erste Tatsache, auf die wir uns meiner Meinung nach alle einigen können, ist folgende: dass die Revolution unter einer kleinbürgerlichen Führung begann, deren Programm vorwiegend bürgerlich-demokratisch war. Dies ist eines der Dinge, dem, so denke ich, alle zustimmen werden, unter anderem auch deshalb, weil die Führung selbst es anerkennt. Die Castro-Führung sagt das selbst. Nun hat diese Führung zwei Besonderheiten. Zum einen war sie sehr radikal. Sie glaubte an die bewaffnete Revolution. Sie praktizierte sie, sie trat für sie ein. Und lasst mich hinzufügen, dass das in Kuba völlig legal ist. Ich sage nicht, dass es hier legal ist, aber in Kuba ist es legal, zum bewaffneten Sturz der Regierung aufzurufen.

Ein weiteres Charakteristikum hatte diese Führung, dem, so denke ich, alle zustimmen werden. Ihre ersten Aufrufe richteten sich an die gesamte Bevölkerung – Arbeiter, Bauern, jedermann – in der Erwartung, dass dies zu einem spontanen Aufstand führen werde, zu irgendwelchen Aktionen, die die Aufrufe umsetzen würden. Als sie dann merkten, dass es so nicht ging, organisierten sie eine bewaffnete Streitkraft, die hauptsächlich aus Bauern und Landarbeitern bestand. Ich denke, diese Tatsachen liegen so klar auf der Hand, dass niemand sie leugnen würde. Sicherlich wird jeder in unserer Bewegung dem zustimmen. Ich denke, wir sind uns auch alle einig, dass dies eine außerordentlich tiefgreifende Revolution ist, die zu sehr weitgehenden ökonomischen und sozialen Maßnahmen überging. Dem wird jeder zustimmen, wenn auch keine Einigkeit darüber herrscht, wie man diese bezeichnen soll. Ich denke, jeder wird zustimmen, dass die Revolution mit der Unterstützung der Bauernschaft und der Landarbeiter begann und die Sympathie und schließlich aktive Unterstützung der städtischen Arbeiter besaß oder rasch gewann. Das ist das gegenwärtige Stadium der Revolution, und ich denke, jeder, der dort war und dort Studien anstellte, wird diesem Punkt zustimmen.

Abschließend, denke ich, wird jeder zustimmen, dass die kubanische Revolution starke demokratische und sozialistische Tendenzen aufweist. Sie ist viel demokratischer als alles andere, was wir seit langer Zeit sahen.

Bis hierher besteht Übereinstimmung, was die wichtigsten Tatsachen betrifft.

Ich denke, wir sind uns auch einig über unsere Hauptaufgaben in Bezug auf die kubanische Revolution, und das ist für unsere Partei von entscheidender Bedeutung. Auch für die Diskussion, die wir führen wollen, ist Übereinstimmung in diesem Bereich von entscheidender Bedeutung.

Die erste Hauptaufgabe besteht darin, diese Revolution gegen den Imperialismus zu verteidigen. Das ist unser Hauptanliegen als Partei, was die kubanische Revolution angeht.

Ich denke, wir sind uns einig, dass wir alle in Kuba eingeführten Neuerungen wie die Planwirtschaft und die Enteignung der Bourgeoisie – dass wir diese revolutionären Neuerungen gegen eine Konterrevolution verteidigen. Das ist ein großer Bereich der Übereinstimmung.

Ich denke, wir alle stimmen überein, dass wir unser Möglichstes tun sollten, um die amerikanische Arbeiterbewegung um die kubanische Revolution zu vereinen und die Studenten und Intellektuellen, wen immer wir können, zur Verteidigung dieser Revolution zusammenzuschließen. Und ich denke, über bestimmte Aufgaben innerhalb Kubas sind wir uns einig, egal, wie wir die verschiedenen Dinge, die sich dort ereigneten, benennen. Erstens, dass unsere Politik auf eine Ausweitung und Entwicklung der proletarischen Demokratie abzielt. Das ist unsere Nummer Eins. Zweitens, dass unsere Politik auf den Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei abzielt. Mit anderen Worten, dass unsere Politik das sozialistische Bewusstsein, das in Kuba bereits begonnen hat, vertieft und ausweitet. Und dass unsere Politik auf eine Ausdehnung der kubanischen Revolution auf ganz Lateinamerika abzielt. Darüber sind wir uns alle einig, egal wie wir diese verschiedenen Dinge nennen. Und daher sind wir uns sehr weitgehend einig.

Ich möchte das immer wieder betonen – die weitgehende Übereinstimmung. Und zwar deshalb, weil es in einer Diskussion einen natürlichen Hang gibt, Differenzen zu betonen, selbst Nuancen zu betonen, die viel größer erscheinen, als sie tatsächlich sind. Tatsache ist, dass wir uns in so umfassenden, unerschütterlichen Bereichen einig sind, dass wir es uns leisten können, alles andere ziemlich entspannt anzugehen.[3]

Wie wir bereits feststellten, waren Hansens Behauptungen mit unausgesprochenen theoretischen Voraussetzungen überladen, die seinen kleinbürgerlichen Standpunkt verbargen. Zum Beispiel führte er als einen »großen Bereich der Übereinstimmung« die Verteidigung aller »in Kuba eingeführten Neuerungen« an, ohne die Klassenbeziehungen in Kuba zu analysieren, auf denen diese Neuerungen beruhten. Hansen sicherte diesen neuen Einrichtungen unbegrenzte Unterstützung zu, ohne zuvor nachzuprüfen, ob sie die Macht des Proletariats repräsentierten. Gleichzeitig setzte er die Verteidigung dieser Einrichtungen einfach gleich mit der Verteidigung Kubas gegen den amerikanischen Imperialismus, als sei eine kritische Haltung gegenüber Castros Regime unvereinbar mit der Verteidigung der kubanischen Revolution gegen die Vereinigten Staaten. Hansens Feststellung, die Verteidigung der kubanischen Revolution sei »unser Hauptanliegen als Partei, was die kubanische Revolution angeht«, würden Trotzkisten nicht einmal in Bezug auf die UdSSR treffen. Die Verteidigung jeder Revolution, selbst wenn sie das Proletariat an die Macht bringt, ist als Taktik der revolutionären Partei ihrer Strategie der sozialistischen Weltrevolution untergeordnet. Darüber hinaus ließ Hansens Feststellung eine Unmenge zugehöriger politischer Fragen offen: Aufgrund welcher Perspektiven und welches Programms wollte die SWP die kubanische Revolution verteidigen? Auf welche Klassenkräfte wollte die SWP diese Verteidigung stützen?

Man sollte natürlich betonen, dass die bedingungslose Verteidigung der kubanischen Revolution gegen die Bedrohung einer US-Intervention nicht von der Definierung Kubas als Arbeiterstaat abhing. Der anti-imperialistische und demokratisch-nationale Kampf des kubanischen Volks unter Castros Führung reichte Trotzkisten aus, um unermüdliche Aktivitäten zur Verteidigung der kubanischen Revolution zu rechtfertigen. Aber aus der bedingungslosen Verteidigung Kubas folgte keineswegs, dass Marxisten verpflichtet waren, die Existenz eines Arbeiterstaats auf dieser Insel zu verkünden. Hansen versuchte beständig, den Unterschied zwischen diesen beiden getrennten Fragen zu verwischen.

Was Hansens Behauptung angeht, die SWP trete für den Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei in Kuba ein, so wurde dieses Ziel bereits der Anpassung an Castro gemäß zurechtgestutzt. Wie zuvor die Pablisten wartete Hansen mit der Position auf, der Trotzkismus sei lediglich eine Tendenz unter vielen, die an der Schaffung einer zukünftigen Weltpartei mitwirken würden. Die Vierte Internationale, gab er zu verstehen, konnte nicht den Anspruch erheben, die Weltpartei der sozialistischen Revolution zu sein:

Nun lasst mich jetzt sagen, dass eine solche Partei noch nie aufgebaut wurde. Marx baute sie nicht auf. Lenin baute sie nicht auf. Sie schufen ihren ersten Kern. Ihr Ziel war absolut klar – wo sie hin wollten. Aber sie begriffen diese Partei niemals als enge, nationale Partei. Sie begriffen sie als internationale Partei, die die größte Aufgabe erfüllen kann, vor der die Menschheit je stand – uns vom Kapitalismus zum Sozialismus zu bringen.

Wenn wir sagen, dass der Kapitalismus überreif für die Revolution ist, dann sagen wir auch, dass die Bedingungen international überreif für den Aufbau einer solchen Partei sind, einer großartigen internationalen Partei, die all das politische und theoretische Wissen und die Fähigkeiten für die Erfüllung dieser großen Aufgabe besitzt. Wie werden wir eine solche Partei aufbauen? Wird sie vor der Revolution aufgebaut werden? Das wäre sehr gut – zumindest sagen das die Kubaner jetzt selbst – es wäre gut, schon vorher eine solche Partei zu haben. Tatsache ist, dass eine solche Partei gerade im Verlauf der Revolution aufgebaut werden muss, während sich Revolutionen mit unterschiedlichen Erfolgen ereignen. Vor dieser Tatsache stehen wir. In einigen Ländern, denke ich, werden wir nationale Sektionen der Partei aufbauen können, bevor die Revolution stattfindet, und in einigen Ländern, denke ich, ist das eine absolute Voraussetzung für den Erfolg. In anderen Ländern dringt die Revolution schneller vor als die Partei. Das ist heute eine klar ersichtliche politische Tatsache.[4]

Hansen war Spezialist darin, die historische Wahrheit zu absurden Postulaten zu verdrehen, die er dann wie Strohpuppen umstoßen konnte. Weder Marx noch Lenin bauten »enge, nationale« Parteien auf. Ihre politischen Bemühungen konzentrierten sich gerade auf den Aufbau internationaler Parteien der Arbeiterklasse. Als Hansen behauptete, sie hätten solche Parteien nicht aufgebaut, leugnete er die historische Tatsache der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale.

Hansens Verdrehungen dienten dem Eintreten für eine internationale Partei ganz anderer Art, als Lenin und Trotzki sie aufbauten. Für Marxisten gründet sich eine internationale Partei auf ein gemeinsames Weltprogramm. Auf der Grundlage dieses Programms, das die objektiven Interessen des Weltproletariats ausdrückt, werden die Kader der internationalen Partei rekrutiert und ausgebildet. Der Aufbau dieser programmatisch vereinten Weltpartei ist die grundlegende und dringende Aufgabe aller Marxisten in allen Ländern, unabhängig von der politischen Konjunktur in einem einzelnen Land. In dem Maße, wie diese Aufgabe in einem Land bis zum Ausbruch revolutionärer Kämpfe verschoben wird, ist der Verlauf der Revolution entlang einem bewussten proletarischen Kurs, der sich auf die Eroberung der Staatsmacht richtet, ernsthaft gefährdet.

Was Hansen wirklich meinte, war die Schaffung einer verschiedene Klassen umfassenden, politisch heterogenen »Weltorganisation«, in der sich die Trotzkisten an nichtmarxistische und nichtproletarische Kräfte anpassen würden – eine lächerliche Karikatur auf Stalins »Arbeiter- und Bauerninternationale«. Zu behaupten, in einigen Ländern müsse man als »absolute Voraussetzung« für deren Sieg vor der Revolution revolutionäre Parteien aufbauen, in anderen Ländern sei das vielleicht nicht nötig, bedeutete einen völligen Bruch mit dem Marxismus. Hansen wiederholte buchstäblich Wort für Wort die Argumente Pablos, der die Kapitulation vor dem Stalinismus und bürgerlichen Nationalismus mit dem Argument gerechtfertigt hatte, es bleibe nicht genügend Zeit für den Aufbau einer unabhängigen trotzkistischen Organisation. Das logische Resultat dieser Perspektive, die man nur als konjunkturelles Liquidatorentum bezeichnen kann, musste zwangsläufig die Liquidierung des Kampfs zum Aufbau trotzkistischer Parteien überall auf der Welt sein, besonders in den Vereinigten Staaten!

Hansens Position stieß auf überwältigende Unterstützung in der Führung der SWP, was zeigte, in welchem Ausmaß die Partei die Positionen aufgegeben hatte, die sie vor zehn Jahren im Kampf gegen Pablo verteidigt hatte. Die ältere Generation der Parteiführer hatte die amerikanische Arbeiterklasse aufgegeben und sah keine Zukunftsperspektive für die SWP. Die Kapitulationsstimmung, die Cannons alte Anhänger jetzt erfasste, spiegelte sich deutlich in den Argumenten, die Morris Stein in der Diskussion im Nationalkomitee nach Hansens Bericht vorbrachte:

Wenn wir jetzt die Tatsachen diskutieren, dann denke ich, die wichtigste Tatsache – wenn Ihr wissen wollt, wie all dies geschehen konnte – die Tatsache Nummer Eins ist die bestehende Weltrealität. Ohne die hätte es keine kubanische Revolution gegeben. Die Tatsache, dass der Kampf zweier Gesellschaftssysteme auf Leben und Tod alles Leben auf der ganzen Welt beherrscht. Könntet Ihr Euch etwa eine kubanische Revolution vor, sagen wir, der Russischen Revolution von 1917 vorstellen? …

Wir haben es heute also mit einer neuen Weltrealität zu tun. Und diese Weltrealität ist die Revolution von 1917 plus der Krieg und seine Folgen. Insbesondere die Revolutionen in Jugoslawien, in China, in den osteuropäischen Ländern, und der Machtzuwachs der Sowjetunion – sie ist nicht länger ein ums Überleben kämpfender isolierter Arbeiterstaat; sie ist ein mächtiger Staat, die zweitgrößte Macht der Welt. Und durch die Umstände – nicht der geringste darunter ist die chinesische Revolution – ist die Sowjetunion heute gezwungen, anstatt eine konterrevolutionäre Rolle zu spielen – ist sie gezwungen, aus Gründen der Selbstverteidigung oder anderer Interessen, da kann man sagen, was man will, sich auf die Seite der Revolution zu stellen.

Das ist das neue Element in der heutigen Weltlage, ohne das man nicht verstehen kann, was geschehen ist.[5]

Nur zehn Jahre zuvor hatte Stein im Kampf gegen Pablo eine herausragende Rolle gespielt und dessen liquidatorische Positionen einer gnadenlosen Kritik unterzogen. Insbesondere hatte er Pablos Versuch verurteilt, dem Stalinismus im internationalen Klassenkampf eine revolutionäre Rolle zuzuschreiben. Stein hatte die Auffassung zurückgewiesen, dass die grundlegenden Aufgaben der Vierten Internationale einfach durch vermehrte, die Revolution begünstigende »objektive Faktoren« gelöst werden könnten. Pablos Gerede über »überflutende revolutionäre Wellen« hatte Stein mit der Warnung beantwortet, »es gibt kein einziges kapitalistisches Land, in dem wir wahrheitsgetreu behaupten könnten, die Krise der Führung sei völlig gelöst«, und hatte dann auf Folgendes aufmerksam gemacht:

Der aufgeplusterte Optimismus über die revolutionäre Welle, die sich von Land zu Land und Kontinent zu Kontinent ausbreitet, ist ein Deckmantel für tiefen Pessimismus hinsichtlich der Fähigkeiten der Arbeiterklasse und der revolutionären Avantgarde. Das Endergebnis dieser Linie kann nur Liquidatorentum sein. Warum eine Partei aufbauen, wenn sich alles löst – oder lösen wird – durch eine zunehmende revolutionäre Welle? Warum sollte man Interesse für Gewerkschaftsarbeit oder Geduld für rückständige Arbeiter aufbringen, wenn die Revolution alles in Flammen setzt? Wozu marxistische Klassiker studieren, wenn sie für die neue Epoche nicht gelten?[6]

1961 hatte Stein alles vergessen, woran er einst glaubte. Mit schamloser Verachtung für die marxistische Theorie argumentierte er jetzt:

Sich jetzt auf eine Diskussion einzulassen, die sich schwerpunktmäßig mit der Frage der Führung in Kuba beschäftigt, ihrem kleinbürgerlichen Charakter, Ursprung und ihrem Empirismus, hieße offene Türen einrennen, denn darin stimmen wir alle überein.

Aber ich denke, wir sollten noch ein bisschen mehr sagen, nämlich, dass wir es mit einer Gruppe junger Männer zu tun haben, sehr jung als Führer in der heutigen Welt, und ich meine jung nicht nur im Vergleich mit Adenauer. Männer Anfang dreißig …

Sie sind alle Anfang dreißig.

Der zweite Punkt: Es sind sehr tapfere Männer, selbstlose Männer, Kämpfer. In dieser Hinsicht haben sie sich bewährt. Sie sind aufrichtig. Am Anfang stand ihr aufrechter Wunsch, Batista und den amerikanischen Imperialismus aus ihrem Land hinauszuwerfen. Das ist ein großes Vorhaben.

An die gegebene konjunkturelle Weltlage passen sie sich als Empiriker an. Und es gibt sehr wenig Raum für Anpassung. Entweder man steht auf der Seite des amerikanischen Imperialismus, oder man akzeptiert die Hilfe der Sowjetunion und der Länder des sowjetischen Blocks.[7]

Eine bewusste Strategie, die von der Perspektive der sozialistischen Weltrevolution ausgeht, war für Stein keine Alternative mehr. Die Vierte Internationale konnte, was Stein betraf, den kubanischen Massen kein unabhängiges Programm anbieten. Im Grunde hatte Stein den Glauben an den Trotzkismus und seine langfristigen Perspektiven verloren, und so platzte er heraus: »Es ist also für uns ein sehr eigenartiges Phänomen. Den Großteil unseres Lebens haben wir damit zugebracht, gegen Leute zu polemisieren, die wie Revolutionäre redeten und wie Reformisten handelten. Darauf haben wir unser ganzes Leben verwendet. Ich denke, da sollte uns eine Abwechslung willkommen sein.«[8]

Diese Rede war Steins Schwanengesang. Obwohl er erst in seinen Fünfzigern stand, war Stein nach 30 Jahren in der revolutionären Bewegung politisch erschöpft. Mit der Kapitulation vor dem Castroismus bereitete er sich politisch und psychologisch darauf vor, demoralisiert in den Ruhestand zu treten. Stein und seine Frau, Sylvia Bleeker, gaben jede praktische Aktivität auf und zogen sich zurück. Sie verließen die Partei formal nicht, lösten aber jede praktische Verbindung zu ihrer tagtäglichen Arbeit. An Stein verwirklichte sich seine eigene Vorhersage: Wozu brauchte man denn alte Trotzkisten, wenn junge Männer wie Castro ohne all den theoretischen Ballast der Vierten Internationale Erfolg hatten?

Die Verherrlichung des Castroismus war ein politischer Ausdruck dessen, dass die SWP jede revolutionäre Perspektive für die amerikanische Arbeiterklasse verwarf. Aus diesem Grund ging die Position der SWP zu Kuba Hand in Hand mit ihrer völligen Liquidierung in die Protestpolitik der Mittelklasse in den Vereinigten Staaten.

Ein Schlüssel zum Verständnis, weshalb die SWP als revolutionäre Partei zusammenbrach, findet sich in einer Analyse, die Cannon selbst über den Verfall der amerikanischen Kommunistischen Partei angefertigt hatte.

1954 hatte er geschrieben:

Die Degeneration der Kommunistischen Partei begann, als sie die Perspektive der Revolution im eigenen Land aufgab und sich in eine Lobby und einen Fanclub der stalinistischen Bürokratie in Russland verwandelte – die sie irrtümlich für den Hüter der Revolution »in einem anderen Land« hielt …

Was mit der Kommunistischen Partei geschah, würde ausnahmslos jeder Partei, auch unserer eigenen, zustoßen, wenn sie den Kampf für eine sozialistische Revolution in unserem Land als realistische Perspektive unserer Epoche fallenließe und sich zum Sympathisanten von Revolutionen in anderen Ländern degradieren würde.

Es ist meine feste Überzeugung, dass amerikanische Revolutionäre mit Revolutionen in anderen Ländern sympathisieren und sie unterstützen sollten, wo immer sie können. Aber die beste Art und Weise, dies zu tun, ist der Aufbau einer Partei mit der zuversichtlichen Perspektive einer Revolution in diesem Land.

Ohne eine solche Perspektive straft eine kommunistische oder sozialistische Partei ihren Namen Lügen. Sie ist dann keine Hilfe mehr, sondern wird zum Hindernis für die Sache der revolutionären Arbeiter in ihrem eigenen Land. Und ihre Sympathie für andere Revolutionen ist dann auch nicht viel wert.[9]

Als es in der SWP 1939–1940 eine harte Auseinandersetzung über den Klassencharakter des sowjetischen Staats gab, forderte Trotzki die Minderheit um Shachtman und Burnham heraus, klar und deutlich zu sagen, welche strategischen und programmatischen Schlussfolgerungen sich aus ihrer angeblichen Entdeckung, die Sowjetunion sei kein Arbeiterstaat mehr, ergaben. So machte er klar, dass nicht einfach um Worte gestritten wurde. Wenn die Minderheit es ablehnte, wie die Vierte Internationale die UdSSR als Arbeiterstaat zu bezeichnen, dann mussten unweigerlich in allen Grundfragen tiefgreifende Differenzen zum Trotzkismus bestehen.

Ähnlich war die Frage von Kuba kein Streit um Worte. Hansen versuchte, einer grundsätzlichen Aussage über die Folgen, die sich aus der Definition Kubas als Arbeiterstaat für die marxistische Theorie und das Programm der Vierten Internationale ergaben, auszuweichen. Er vermied eine genaue Erklärung, welche Schlussfolgerungen die trotzkistische Bewegung aus der angeblichen Errichtung eines Arbeiterstaats unter Castros kleinbürgerlicher, nichtmarxistischer Führung ziehen sollte. Den liquidatorischen Kern seiner Position versuchte Hansen mit hohlen Beteuerungen zu vertuschen, Castros Sieg sei »eine neuerliche Bestätigung der Theorie der permanenten Revolution«. Diese Position ist mittlerweile von seinen Carleton-Zöglingen in der heutigen Führung der SWP abgelegt worden, die ganz offen zugeben, dass die Linie der amerikanischen Partei zu Kuba tatsächlich eine Zurückweisung der Theorie der permanenten Revolution bedeutete.

Der Kampf, den das Internationale Komitee auf Initiative seiner britischen Sektion, der Socialist Labour League, gegen die Entscheidung der SWP aufnahm, sich auf einer gemeinsamen liquidatorischen Plattform der Kapitulation vor Castro wieder mit dem pablistischen Internationalen Sekretariat zu vereinigen, war ein entscheidender Meilenstein in der Entwicklung der Vierten Internationale. Als sich die SLL dem Verrat der SWP an ihrem früheren Kampf gegen den Pablismus entgegenstellte, übernahm sie die Verantwortung für die Verteidigung des gesamten politischen und theoretischen Erbes des Trotzkismus und schmiedete durch diesen Kampf eine erneuerte Grundlage für den Aufbau der Vierten Internationale.


[1]

Joseph Hansen, Dynamics of the Cuban Revolution: The Trotskyist View, New York 1978, S. 83.

[2]

Ebd., S. 86–87.

[3]

Ebd., S. 87–89.

[4]

Ebd., S. 91.

[5]

Diskussionsbulletin der SWP, Jg. 22, Nr. 2, Februar 1961, S. 20–21.

[6]

National Education Department Socialist Workers Party, Towards a History of the Fourth International, Juni 1973, Teil 3, Bd. 2, S. 77–79.

[7]

Diskussionsbulletin der SWP, Februar 1961, S. 21.

[8]

Ebd.

[9]

James P. Cannon, The First Ten Years of American Communism, New York 1962, S. 37–38.