Peter Schwarz
Wissenschaft oder Kriegspropaganda?

Peter Schwarz: Ein Versuch, Hitler zu rehabilitieren

Erschienen auf der World Socialist Web Site am 23.9.2014.

Das Magazin »The European« hat Adolf Hitler zum Titelthema seiner jüngsten Ausgabe erkoren. Auf dem Deckblatt prangt das poppig geschminkte Gesicht des Nazi-Führers mit der Schlagzeile: »Hitlertainment. Deutschlands führender Popstar«. Im Innern des Hefts kommt – eingebettet in Interviews mit bekannten Politikern und Kulturschaffenden, in Lifestyle-Themen sowie viel Belangloses und Geschmackloses – Ernst Nolte mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Hitler zu Wort.

Unter der Überschrift »Das Tabu brechen«[1] beklagt der 91-jährige Historiker, dass Hitler nach der Niederlage Deutschlands »vom Befreier zum ›absolut Bösen‹« geworden sei. Nach der deutschen Niederlage habe sich eine »Masse des Hasses und der Verdammung« entwickelt, »die den einstigen ›Befreier‹ zum Repräsentanten des ›absoluten Bösen‹ und zu einem ›Tabu‹ machten, von dem ernsthaft und wissenschaftlich nicht gesprochen werden konnte«, schreibt Nolte. »Diese einseitige Sicht schadet uns noch heute.«

An anderer Stelle beschwert er sich, dass es nicht genügend Hitler in der heutigen deutschen Politik gebe. Hitler, so Nolte, könne »als der vergessene Repräsentant von Tendenzen der ›Selbstbehauptung‹ erscheinen, die man in der offiziellen Politik der Bundesregierung vermisst«.

Selbst Hitlers Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg leugnet Nolte. Der »Krieg von 1940« sei »nicht primär von Hitler, sondern durch die Verweigerung von Kompromissen ebenso sehr durch Polen und England hervorgerufen« worden, schreibt er. Die »Verweigerung von Kompromissen« bestand darin, dass Warschau und London Hitlers Erpressung nicht nachgaben und sich weigerten, sich mit ihm gegen die Sowjetunion zu verbünden und Danzig und den Korridor freiwillig an Deutschland abzutreten.

Lob spendet Nolte auch Hitlers Geburtenpolitik, die er als »pronatalistische Politik« bezeichnet. Die Nazis hatten Wert darauf gelegt, dass deutsche Frauen dem »Führer« in großer Zahl »arischen Nachwuchs« schenkten. Die SS-Organisation »Lebensborn« zog dazu auch ledige Frauen heran. SS-Führer Himmler begründete dies damit, dass Deutschland ansonsten »bei der Fruchtbarkeit der Russen« von diesen »einfach über den Haufen gerannt« würde.

Nolte findet nun, Hitler habe die »Tendenz zum ›Volkstod‹, wie er sie nannte, durch eine pronatalistische Politik nicht ohne Erfolg bekämpft«. Der »Führung der Bundesrepublik Deutschland« wirft er dagegen mit kaum verhülltem Rassismus vor, sie habe an die Stelle der Förderung deutschen Nachwuchses »eine Politik der Tolerierung und sogar der Förderung einer ungeregelten Im­migration« gesetzt.

Ernst Nolte hatte 1986 mit einem Artikel, der den Nationalsozialismus verharmloste und als verständliche Reaktion auf den Bolschewismus darstellte, den Historikerstreit ausgelöst. Seither haben sich seine rechten Standpunkte radikalisiert. So schrieb er 1998 in einem Buch, Hitler habe »schwerwiegende Gründe« gehabt, die Juden seit 1939 »als ein ›Feindvolk‹ zu betrachten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen«.[2]

Dass Nolte inzwischen Auffassungen vertritt, die man lange Zeit nur in Neonazi-Zirkeln fand, ist also keine Überraschung. Auffallend ist dagegen, dass ein angeblich seriöses Magazin, das nicht zum rechtsextremen Spektrum zählt, einen solchen Beitrag kommentarlos veröffentlicht und damit auf keinerlei Widerspruch stößt.

Das Debatten-Magazin »The European« erscheint seit 2009 online und seit 2012 auch viermal jährlich in gedruckter Form. Sein Herausgeber und Chefredakteur Alexander Görlach war vorher Ressortleiter beim Politmagazin »Cicero«. Der promovierte Theologe und Politikwissenschaftler ist politisch gut vernetzt. Unter anderem war er stellvertretender Pressesprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Pressesprecher der katholischen Studentenverbände. Er hat für zahlreiche Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender gearbeitet und ist Mitglied der Atlantik-Brücke.

In der aktuellen Ausgabe von »The European« finden sich neben dem Artikel von Nolte auch Gespräche mit Finanzminister Wolfgang Schäuble, dem SPD-Veteranen Egon Bahr, dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, dem Philosophen Rüdiger Safranski, dem Filmemacher Alexander Kluge, dem Ökonomen Thomas Piketty und der Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Selmin Caliskan. Doch bisher scheint sich keiner von ihnen daran zu stören, dass ihr Interview Seite an Seite mit einer Streitschrift erscheint, die dazu aufruft, das Tabu Hitler zu brechen.

Hatten Noltes wesentlich gemäßigtere Thesen 1986 noch heftigen Widerspruch provoziert, herrscht heute Schweigen. Man kann daraus nur den Schluss ziehen, dass Gedankengut, das lange Zeit als rechtsextrem und nicht hinnehmbar galt, wieder zum Mainstream gehört und als legitimer Debattenbeitrag gilt.

»The European« ist nicht das erste angeblich seriöse Magazin, das Nolte zu Wort kommen lässt. Seine Rehabilitierung hatte bereits im Jahr 2000 begonnen, als er mit dem Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung geehrt wurde. Im Februar dieses Jahres bot ihm dann »Der Spiegel« eine Bühne. Schon hier konnte er im Gespräch mit Dirk Kurbjuweit unwidersprochen behaupten, die Polen und Engländer trügen eine Mitverantwortung für den Zweiten Weltkrieg, weil sie sich nicht mit Hitler geeinigt hätten. Als Noltes Anwalt trat im »Spiegel« der Berliner Historiker Jörg Baberowski auf, der erklärte: »Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.«[3]

Wie sind diese Bemühungen um die Rehabilitierung Hitlers zu erklären? Offensichtlich handelt es sich dabei nicht um einzelne Entgleisungen. Noltes Beitrag sticht zwar durch seine offene Parteinahme für Hitler hervor, aber das ganze Heft des »European« ist so aufgebaut, dass es Noltes Auffassungen Glaubwürdigkeit verleiht.

Es ist eine sehr merkwürdige Debatte, die dieses »Debatten-Magazin« führt. Es geht nicht darum zu klären, was damals tatsächlich geschah und welche Lehren sich daraus für heute ergeben. Fragen, die Generationen ernsthafter Historiker beschäftigt haben – wer war Hitler? wessen Interessen vertrat er? wer verhalf ihm an die Macht? weshalb versagte die Arbeiterbewegung? –, kommen darin nicht vor. Ebenso wenig Begriffe wie Auschwitz, Gestapo, Vernichtungskrieg oder Kriegsverbrechen.

Stattdessen wird Hitler in eine subjektive Chiffre verwandelt. Die Behauptung, »ob es uns gefällt oder nicht, Hitler ist heute eine popkulturelle Karikatur«, zieht sich penetrant von der ersten bis zur letzten Seite des Hefts. Herausgeber Görlach verkündet: »Eine Ent-Dämonisierung tut unserem Umgang mit der NS-Zeit gut.« Es gibt Beiträge über »Das Monster von nebenan« und »Der Hitler in uns«. Auf sieben Seiten findet sich ungefilterte Nazi-Propaganda: Hitler-Karikaturen aus den 1920er Jahren mit den Originalkommentaren von NSDAP-Pressechef Ernst Hanfstaengl. In diesen eklektischen Wirrwarr passt Noltes Beitrag nahtlos hinein.

Dass die Autoren und Macher des Hefts völlig subjektiv an das Thema Hitler herangehen, bedeutet allerdings nicht, dass sie keine objektiven Motive hätten. Das zweite Hauptthema des »European« ist in dieser Hinsicht bezeichnend. Es lautet: »Der gerechte Krieg. Wofür würden wir Deutschen noch töten?« Der Versuch, Hitler zu rehabilitieren, ist untrennbar mit dem »Ende der militärischen Zurückhaltung« verbunden, wie sie von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und zahlreichen anderen Vertretern von Politik und Medien seit Monaten propagiert und praktiziert wird.

Die Geschichte meldet sich mit Macht zurück. 1961 hatte Fritz Fischer in seinem Werk »Griff nach der Weltmacht« die deutschen Kriegsziele im Ersten Weltkrieg aufgedeckt und nachgewiesen, dass die Nazis dieselben Ziele verfolgten. Heute tritt Außenminister Steinmeier – besonders in der Ukraine – in die Fußstapfen seiner Vorgänger Bethmann Hollweg und Ribbentrop. Die Krise des Weltkapitalismus und der EU stellt den deutschen Imperialismus wieder vor dieselben Aufgaben wie 1914 und 1939.

Zahlreiche Politiker, Journalisten und Akademiker bemühen sich, die Wiederbelebung des deutschen Militarismus ideologisch zu rechtfertigen. Jürgen Habermas, Wortführer der Nolte-Gegner im Historikerstreit, unterstützt seit dem Jugoslawienkrieg 1999 »humanitäre« Militäreinsätze. Grüne »Antifaschisten« arbeiten auf dem Maidan mit Leuten zusammen, die Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg verehren. Sie verspüren den unwiderstehlichen Drang, auch Hitler zu rehabilitieren. »Natürlich müssen wir Hitler vermenschlichen«, schreibt der Schriftsteller Timur Vermes in »The European«.

Man sollte das als Warnung verstehen. Wer heute dazu aufruft, Hitler zu enttabuisieren, wird morgen keine Hemmungen haben, seine Verbrechen zu wiederholen – nach außen und nach innen.


[1]

Ernst Nolte, »Das Tabu brechen«, in: The European 4/2014.

[2]

Ernst Nolte, Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?, München 1998, S. 574.

[3]

Dirk Kurbjuweit, »Der Wandel der Vergangenheit«, in: Der Spiegel 7/2014, 10.2.2014, S. 116, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124956878.html, aufgerufen am 16.6.2015.