Im Herbst 2014 veröffentlichte das Institut für Geschichtswissenschaften der Berliner Humboldt-Universität auf seiner Website eine »Stellungnahme zu den Angriffen auf Prof. Dr. Jörg Baberowski«, die die Partei für Soziale Gleichheit und ihre Jugend- und Studentenorganisation IYSSE heftig angreift, weil sie die rechten politischen Auffassungen und Ziele des Lehrstuhlinhabers für Geschichte Osteuropas kritisieren. Mit diesem Offenen Brief vom 25.11.2014 an den Präsidenten der Universität, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, protestierten die PSG und die IYSSE gegen diesen unerhörten Angriff.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Olbertz,
wir verlangen, dass die »Stellungnahme zu den Angriffen auf Prof. Dr. Jörg Baberowski«[1], die das Institut für Geschichtswissenschaften veröffentlicht hat, von der Website der Humboldt-Universität entfernt wird. Es handelt sich um einen politischen Angriff auf die Partei für Soziale Gleichheit und ihre Jugend- und Studentenorganisation, die IYSSE, sowie um den Versuch, die Lehrenden und Studierenden der Universität gegen die IYSSE zu mobilisieren. All dies geschieht im Namen der Humboldt-Universität. Das verstößt gegen elementare Grundsätze der Demokratie und der Meinungsfreiheit und schafft einen Präzedenzfall für eine moderne Form der Gleichschaltung.
Die »Stellungnahme« hat den Charakter einer offiziellen Erklärung der Humboldt-Universität. Sie trägt deren Logo und die Unterschrift des Geschäftsführenden Direktors des Instituts für Geschichtswissenschaften, Prof. Dr. Peter Burschel, der sie »im Namen des Instituts« unterzeichnet hat. Sie attackiert im Namen der Universität eine offiziell anerkannte politische Partei, die Partei für Soziale Gleichheit, sowie die Mitglieder ihrer Studentenorganisation IYSSE und erklärt jede Kritik an den rechten politischen Auffassungen und Zielen, die Prof. Baberowski auch außerhalb des Lehrbetriebs vertritt, für unzulässig.
Wir fordern eine Untersuchung, wie diese Erklärung zustande gekommen ist. Wir wollen wissen, wer sie vorgeschlagen hat, in welchen Gremien sie diskutiert wurde, und wer entschieden hat, sie zu veröffentlichen. Warum wurde die PSG nicht kontaktiert?
Die »Stellungnahme« des Instituts für Geschichtswissenschaften tritt ausdrücklich für politische Zensur ein: Sie will Kritik an Baberowskis öffentlichen Äußerungen »in Räumen der Humboldt-Universität« nicht mehr dulden und »fordert Lehrende und Studierende der Humboldt-Universität auf, der Kampagne gegen Professor Baberowski entgegenzutreten«.[2]
Was ist damit gemeint? Was genau sollen die Studierenden tun? Es handelt sich offenbar um einen Versuch, die Studierenden dafür zu mobilisieren, dass sie die Auffassungen von Baberowski gegen die PSG und die IYSSE verteidigen. Es sollte nicht nötig sein zu erläutern, dass ein solcher Vorschlag politisch und fachlich völlig inakzeptabel ist. Baberowski verfügt über einen großen Mitarbeiterstab und übt erhebliche Macht über die Studierenden aus. Er kann die Karriere der Studierenden fördern oder blockieren, die nun aufgefordert werden, ihn politisch zu verteidigen.
Die Behauptung, Prof. Baberowski sei das Opfer einer politischen Kampagne der IYSSE, und diese Kampagne verletze die »grundgesetzlich geschützte Freiheit der Lehre«[3], ist absurd. Sie stellt die Tatsachen auf den Kopf.
Prof. Baberowski ist kein passiver Gelehrter, der im Elfenbeinturm der Universität wertneutrale wissenschaftliche Forschung betreibt. Er nutzt seine Autorität als Lehrstuhlinhaber, um auch außerhalb der Universität für geschichtsrevisionistische und militaristische Standpunkte zu werben. Er tut dies regelmäßig in Fernseh-, Radio- und Zeitungsbeiträgen, in Interviews und in öffentlichen Podiumsgesprächen. Er pflegt zudem enge Verbindungen zu einflussreichen Journalisten, zu hochrangigen Politikern, zur Bundeswehr und zur Hoover Institution, dem akademischen Zentrum der Neocons in den USA.
Die Kritik, die wir an Prof. Baberowski geübt haben, ist für jedermann nachprüfbar. Sie beruht auf öffentlichen Äußerungen und allgemein zugänglichen Dokumenten und stellt keine haltlose Diffamierung dar.
Im Februar trat Baberowski im »Spiegel« für die Rehabilitation Ernst Noltes ein, der 1986 mit der Verharmlosung des Nationalsozialismus den Historikerstreit auslöste und mittlerweile Adolf Hitler verteidigt. Das Nachrichtenmagazin zitierte ihn mit den Worten: »Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.«[4]
Nolte erklärt im selben »Spiegel«-Artikel, Polen und England hätten eine Mitschuld an Hitlers Überfall auf Polen und das Judentum einen eigenen Anteil am GULag – Auffassungen, die man sonst nur in neonazistischen Zirkeln findet. Baberowski selbst verharmlost Hitler im »Spiegel« mit den Worten:
Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.[5]
Ist das nun auch die Auffassung der Humboldt-Universität? Indem sie Kritik an Baberowski für unzulässig erklärt, übernimmt sie faktisch dessen Auffassungen. Sie unterstützt eine Kampagne, die auf die Revision der Geschichte und die Rehabilitierung Adolf Hitlers und der grauenhaften Erfahrung mit den Nazis hinausläuft.
Am 1. Oktober plädierte Baberowski auf einer Podiumsdiskussion zum Thema »Interventionsmacht Deutschland?«, die im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums stattfand, im Kampf gegen dschihadistische Gruppen für Methoden, die allen völkerrechtlichen Normen und Konventionen widersprechen. Wörtlich sagte er:
Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen, dann soll man die Finger davon lassen.[6]
Ist auch dies nun die Auffassung der Humboldt-Universität? Behauptet sie ernsthaft, die Kritik solch faschistischer Auffassungen stelle einen Angriff auf die Freiheit der Lehre dar? Erstreckt sich diese Freiheit nun auch auf Kriegsverbrechen und Massenmorde, wie sie im Zweiten Weltkrieg verübt worden waren, und deren Hauptverantwortliche 1946 in Nürnberg gehenkt wurden?
Der Versuch des Instituts für Geschichtswissenschaften, Kritik an diesen reaktionären Standpunkten aus den Räumen der Universität zu verbannen, ist selbst ein Angriff auf die durch Artikel 5.3 GG geschützte akademische Freiheit. Diese umfasst nicht nur die Lehrfreiheit – die Freiheit der Dozenten, ihre Lehrmeinung frei zu äußern (die wir nie in Frage gestellt haben) –, sondern auch die Freiheit des Studiums. Die Studierenden haben das Recht, ihr Studium selbst zu gestalten, frei von politischem Druck ihre Meinung zu bilden und die Lehrmeinung der Dozenten zu kritisieren. Gegen dieses Recht richtet sich die »Stellungnahme«.
Während sich Baberowski gegen Kritik hinter der akademischen Freiheit verschanzt, verweigert er sie allen anderen. Er nutzt seine Stellung als Professor und den Apparat und die Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, nicht nur, um seine eigenen politischen Auffassungen zu verbreiten, sondern auch, um jede Kritik an ihnen zum Schweigen zu bringen.
So setzte er am 12. Februar einen Sicherheitsdienst ein, um kritische Fragen an seinen britischen Kollegen Robert Service zu unterdrücken, den er zu einem öffentlichen Kolloquium eingeladen hatte, um seine diskreditierte Trotzki-Biografie vorzustellen. Die Biografie war von der renommierten Fachzeitschrift »American Historical Review« und von vierzehn deutschsprachigen Historikern als »zusammengeschustertes Machwerk«[7] und »Schmähschrift«[8] bezeichnet worden, weil sie Dutzende Fälschungen, Fehler und Fehlinterpretationen enthält und den minimalsten historischen Standards widerspricht.
Als die IYSSE Baberowski im Vorab darüber informierten, dass sie an dem öffentlichen Kolloquium teilnehmen würden, und schriftliche Fragen an Service einreichten, sagte er das Kolloquium zunächst unter falschen Angaben ab, verlegte es dann an einen anderen Ort und verwehrte schließlich jedem den Zugang, der im Verdacht stand, kritische Fragen zu stellen. Unter den Besuchern, die ausgesperrt wurden, befanden sich Geschichtsstudierende der Humboldt-Universität, renommierte Historiker wie Prof. Mario Kessler von der Universität Potsdam und der Chefredakteur der »World Socialist Web Site«, David North. Kessler wurde der Zugang verwehrt, weil er den Brief von vierzehn Historikern an den Suhrkamp Verlag unterzeichnet hatte, der von der Veröffentlichung einer deutschen Ausgabe von Services Buch abriet, North, weil er ein hoch gelobtes Buch zur Verteidigung Leo Trotzkis geschrieben hatte. Der einzige Grund für den Ausschluss waren seine politischen Ansichten.
Die IYSSE beschwerten sich damals in einem Offenen Brief an Sie, Prof. Olbertz, über dieses Vorgehen, das »grundlegende demokratische Rechte und akademische Freiheiten an der Humboldt-Universität in Frage«[9] stellt. Wir erhielten nie eine Antwort.
Als die Studierendengruppe der IYSSE an der Humboldt-Universität Anfang Oktober ein Treffen zum Thema »Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?« plante, genehmigten Sie den Raum nur unter der Bedingung, dass keine Mitglieder der Universität als Kriegstreiber oder Militaristen bezeichnet würden. Als wir uns gegen diese Form der Zensur zur Wehr setzten, genehmigten Sie schließlich den Raum. Wie uns später zu Ohren kam, war Prof. Baberowski bei der Uni-Leitung vorstellig geworden, um die Veranstaltung zu verhindern. Das Treffen stieß mit 200 Besuchern auf große Resonanz unter den Studierenden. Es zeigte, dass es unter den Studierenden massive Opposition gegen die rechten Standpunkte von Prof. Baberowski gibt.
Die »Stellungnahme« des Instituts für Geschichtswissenschaften knüpft an diese undemokratischen Methoden an. Sie will Kritik an politischen Äußerungen eines Professors von der Universität verbannen und Lehrende und Studierende der Universität gegen eine politische Partei in Stellung bringen, die diese Äußerungen angreift. Würde sich diese Haltung an der Universität durchsetzen, wären Prof. Baberowskis rechte und militaristische Positionen de facto unangreifbar.
Das erinnert an die düstersten Zeiten der Universität, die in den 1930er Jahren eine Vorreiterrolle bei der von oben verordneten Ausschaltung der Meinungsfreiheit und der Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung der deutschen Hochschulen spielte. In der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität wurde 1926 der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund gegründet, und am 10. Mai 1933 begann hier die Bücherverbrennung. Mit der Gleichschaltung wurde auch an den Universitäten das Führerprinzip eingeführt. Wer sich nicht dem »Führer« der jeweiligen Universität unterordnete, musste gehen und mit Verfolgung rechnen.
Die Stellungnahme, die das Institut für Geschichtswissenschaften auf der Website der Humboldt-Universität veröffentlicht hat, ist ein gefährliches Symptom dafür, wie stark die Integrität der Universität bereits untergraben worden ist. Prof. Baberowski und seine Mitstreiter haben den Lehrstuhl Geschichte Osteuropas in ein ideologisches Zentrum für Geschichtsrevisionismus und Anti-Kommunismus verwandelt. Nun versuchen sie, ihre politische Agenda mit undemokratischen Mitteln in der ganzen Universität durchzusetzen.
Wir fordern die Universität auf, diese Stellungnahme sofort von ihrer Website zu entfernen, und wiederholen unsere Forderung nach einer Untersuchung, wie sie zustande gekommen ist. Prof. Burschel hat sie »im Namen des Instituts« unterzeichnet. Aber das Institut besteht nicht nur aus ihm und seinem Studienfreund Baberowski, sondern aus allen Lehrenden und Studierenden. Wann und wo wurde über die Stellungnahme diskutiert? Wer war darüber informiert? Wer hat ihr zugestimmt? Die Studierenden der Universität haben ein Recht, dies zu wissen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrich Rippert (Partei für Soziale Gleichheit)
Christoph Vandreier
(International Youth and Students for Social Equality)
Prof. Dr. Peter Burschel, »Stellungnahme zu den Angriffen auf Prof. Dr. Jörg Baberowski«, auf: Humboldt-Universität zu Berlin, https://www.geschichte.hu-berlin.de/newseventsglobe/stellungnahme-zu-den-angriffen-auf-prof.-dr.-joerg-baberowski, aufgerufen am 17.6.2015.
Ebd.
Ebd.
Dirk Kurbjuweit, »Der Wandel der Vergangenheit«, in: Der Spiegel 7/2014, 10.2.2014, S. 116, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124956878.html, aufgerufen am 17.6.2015.
Ebd., S. 116, 117.
»Schlüterhofgespräch« im Deutschen Historischen Museum, 1.10.2014, Audiodatei, https://www.dhm.de/fileadmin/medien/relaunch/AUDIO/Schlueterhofgespraeche_01.10.2014_1.mp3, aufgerufen am 17.6.2015.
Bertrand M. Patenaude, »Ein zusammengeschustertes Machwerk!«, in: The American Historical Review, Jg. 116, Nr. 3, Juni 2011, S. 900–902, Oxford University Press (aus dem Englischen).
Wolfgang Weber, »›Robert Service hat keine Streitschrift, sondern eine Schmähschrift verfasst!‹ Ein Gespräch mit Professor Hermann Weber«, 26.11.2011, auf: WSWS, https://www.wsws.org/de/articles/2011/11/webe-n26.html, aufgerufen am 28.6.2015.