Im Jahr 2012 erschien der Bestseller »Er ist wieder da« von Timur Vermes, der drei Jahre später auch als Kinofilm erfolgreich war. Adolf Hitler kehrt darin am Standort der ehemaligen Reichskanzlei ins Zentrum Berlins zurück. Erst tappt er unbeholfen herum – eine der vielen skurrilen Gestalten, die sich am Brandenburger Tor von Touristen fotografieren lassen. Doch er findet sich in der heutigen Zeit schnell zurecht. Die Boulevard-Presse entdeckt ihn, er wird in Talkshows eingeladen, der »Führer« wird wieder populär und fasst politisch Fuß. Am Ende blendet der Film Originalaufnahmen von Pegida-Demonstrationen in Dresden und faschistischen Kundgebungen in anderen europäischen Ländern ein. Aus dem Off ertönt Hitlers Stimme: »Damit kann man arbeiten.«
Schon damals blieb vielen Zuschauern der gelungenen Satire bei diesen Szenen das Lachen im Halse stecken. Doch kaum jemand glaubte, dass eine Rückkehr zu den Schrecken der 30er Jahre eine reale Möglichkeit wäre. In keinem anderen Land nimmt die antifaschistische Erziehung im Schulunterricht derart breiten Raum ein; überall stehen Gedenkstätten, Museen und Denkmäler, die an die Gräueltaten der Nazis und an den Holocaust erinnern. Der Inlandsgeheimdienst nennt sich hier »Verfassungsschutz«, weil er angeblich die demokratische Verfassung vor autoritären Feinden schützt.
Doch nach Chemnitz ist vielen klar geworden: Sie sind tatsächlich wieder da. Mehrere Tausend Neonazis, Rechtsextreme und Mitläufer zogen am 26. und 27. August 2018 durch die Straßen der sächsischen Stadt, skandierten ausländerfeindliche Parolen, veranstalteten Hetzjagden auf Migranten, zeigten den Hitlergruß und überfielen ein jüdisches Restaurant. An der Spitze der Demonstration marschierten führende Vertreter der AfD, die als erste rechtsextreme Partei seit dem Zweiten Weltkrieg mit 90 Abgeordneten im Bundestag sitzt. Mittlerweile ist bekannt geworden, dass sich in Chemnitz eine rechtsterroristische Zelle gegründet hat, die Anschläge auf politische Gegner und Flüchtlinge plante.
Die AfD ist noch keine Massenpartei und der braune Mob in Chemnitz, zusammengekarrt aus der ganzen Bundesrepublik, hat nicht das Ausmaß der gewaltbereiten Horden, die Hitler zur Verfügung standen. Aber die Neonazis genießen schon heute die Unterstützung von breiten Teilen des Staatsapparats und werden gezielt aufgebaut und ermutigt.
Obschon eine Massenpartei, geriet die NSDAP nach den Wahlen vom November 1932 in eine schwere Krise. An die Macht gebracht wurde sie im Januar 1933 schließlich durch eine staatliche Verschwörung, die sich auf einen engen Zirkel um den ehemaligen Reichskanzler Franz von Papen, den deutsch-nationalen Medienzar Alfred Hugenberg und Reichspräsident Paul von Hindenburg konzentrierte. »Hinter ihnen standen mächtige Lobbys, die Wirtschaft, die Großgrundbesitzer und nicht zuletzt die Reichswehr«, schreibt Ian Kershaw in seiner Hitler-Biografie.[1]
Diese Lobbys brauchten die Nazis, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, die Bevölkerung einzuschüchtern und einen neuen Krieg als Revanche für die Niederlage im Ersten Weltkrieg vorzubereiten. »Den herrschenden Gruppen fehlte die Massenbasis zur Festigung ihrer Vormachtstellung und endgültigen Zerschlagung der Macht der organisierten Arbeiterschaft. Diese Aufgabe sollte Hitler für sie erledigen«, schreibt Kershaw. Die Masse des deutschen Volkes spielte bei diesen »Intrigen auf höchster politischer Ebene in der zweiten Jahreshälfte 1932 […] weder eine Rolle, noch wusste sie davon. Die Menschen konnten die dramatischen politischen Ereignisse, die ihre Zukunft bestimmen würden, nicht beeinflussen.«[2]
Hatte sich 1933 die Verschwörung der herrschenden Eliten auf eine bestehende faschistische Bewegung gestützt, ist es heute umgekehrt. Das Anwachsen der AfD ist das Ergebnis einer solchen Verschwörung. Man kann es nicht verstehen, ohne die Rolle der Regierung, des Staatsapparats, der Parteien, der Medien und der Ideologen an den Universitäten zu untersuchen, die ihr den Weg bereiten. Das ist das Thema dieses Buches. Es zeigt auf, wie in den letzten fünf Jahren die Rückkehr des deutschen Militarismus und der Aufbau eines Polizeistaats vorangetrieben wurden und das ideologische Fundament für eine faschistische Bewegung gelegt wurde.
Der globale Kapitalismus hat keines der Probleme gelöst, die in den 1930er Jahren in die Katastrophe führten. Alle sozialen, ökonomischen und geopolitischen Widersprüche brechen mit Macht wieder auf.
Noch nie war die Kluft zwischen den Klassen so tief wie heute. Weltweit besitzen die acht reichsten Individuen gleich viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, also 3,6 Milliarden Menschen, zusammengenommen. Diese soziale Polarisierung zieht sich durch alle Länder. In Deutschland ist der Anteil der Reichen und Superreichen seit Mitte der 1990er Jahre steil angestiegen, während die unteren Schichten einen massiven Einbruch erlitten. 12,9 Millionen Menschen sind von Armut betroffen und 3,2 Millionen arbeiten in mehr als einem Job, weil der niedrige Lohn sonst nicht zum Leben reicht. Größere Klassenauseinandersetzungen sind bisher nur deshalb ausgeblieben, weil die Gewerkschaften, die SPD und die Linke vollständig ins Lager der herrschenden Klasse übergegangen sind und alles tun, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Doch das hat seine Grenzen, es gibt deutliche Anzeichen wachsender Militanz.
Auch die Konflikte zwischen den Großmächten spitzen sich dramatisch zu. Die Vereinigten Staaten versuchen, ihren ökonomischen Niedergang durch aggressive Kriege auszugleichen. Nach den ölreichen Regionen des Nahen Ostens geraten zunehmend China und Russland ins Visier der amerikanischen Militärmacht. Aber auch bisherige Verbündete und insbesondere Deutschland bleiben von Handelskriegsmaßnahmen und militärischen Drohungen nicht verschont.
Die deutsche Bourgeoisie wird dadurch wieder vor dieselben Probleme gestellt, die sie mittels Krieg und Faschismus zu lösen versucht hatte. Um Raum für die exportabhängige deutsche Wirtschaft zu schaffen und die explosiven Klassenspannungen im Innern zu unterdrücken – fast die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung war im Januar 1933 arbeitslos oder in Kurzarbeit, der Durchschnittslohn war in drei Jahren um ein Viertel gefallen –, wollte sie Europa gewaltsam unterjochen und »Lebensraum« im Osten erobern. Nun kehrt sie zu denselben Methoden zurück.
Bereits nach der Bundestagswahl 2013 hatten sich CDU, CSU und SPD in ungewöhnlich langen Koalitionsverhandlungen auf eine beispiellose Steigerung des Militarismus geeinigt. Deutschland sollte, in den Worten von Bundespräsident Joachim Gauck, wieder eine Rolle in Europa und in der Welt spielen, die seiner Größe und seinem Einfluss tatsächlich entspricht. Der neue Kurs wurde von den herrschenden Eliten einhellig unterstützt. Die beiden Oppositionsparteien Grüne und Linke hatten sich unter dem Dach der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) an seiner Ausarbeitung beteiligt. Auch die Medien waren begeistert. Und an den Universitäten, insbesondere an der Berliner Humboldt-Universität, begann eine intensive Kampagne, den deutschen Militarismus durch Geschichtsfälschungen zu rehabilitieren. Das erste Kapitel dieses Buches zeichnet die damaligen Ereignisse nach.
In der Bevölkerung gibt es dagegen keine Unterstützung für den Militarismus. Nach den schrecklichen Erfahrungen von zwei Weltkriegen, die kaum einer Familie erspart blieben, ist die Opposition gegen Krieg tief verwurzelt. Unter diesen Bedingungen setzen die herrschenden Eliten auf autoritäre Methoden und staatliche Unterdrückung. »Zu hohe Spannung des internationalen Klassenkampfes führt zum Kurzschluß der Diktatur«, notierte Leo Trotzki im November 1929 und fügte hinzu, »die Sicherungen der Demokratie schlagen eine nach der anderen durch«.[3] Das gilt heute nicht nur für die USA und für Italien oder Österreich, wo rechtsextreme Kräfte bereits in die Regierung eingebunden sind, sondern auch für Deutschland.
Obwohl sie bei der letzten Bundestagswahl nur 12,6 Prozent der Stimmen erhielt, dominiert die AfD die Politik. In monatelangen Verhandlungen haben sich Union und SPD auf ein Regierungsprogramm geeinigt, das weitgehend die Handschrift der AfD trägt – insbesondere bei der Flüchtlingspolitik, der massiven inneren und äußeren Aufrüstung und der Unterdrückung linker Opposition. Im Bundestag wird die rechtsextreme Partei hofiert. Mit der Entscheidung vom Januar 2018, die diskreditierte Große Koalition mit der CDU/CSU fortzusetzen, hat die SPD der AfD die Rolle der offiziellen Oppositionsführerin eingeräumt. In den parlamentarischen Ausschüssen arbeiten alle Parteien eng mit der AfD zusammen und haben ihr den Vorsitz des Rechtsausschusses, des zentralen Haushaltsausschusses und des Tourismusausschusses überlassen.
Doch anders als 1933 wird diese Politik heute nicht von einer faschistischen Massenbewegung getragen. Ganz im Gegenteil wird die rechte Politik der Großen Koalition von breiten Schichten der Bevölkerung abgelehnt. Laut Umfragen sind 82 Prozent der Befragten dafür, Flüchtlinge aufzunehmen. Jede Woche finden in vielen Städten Massendemonstrationen gegen die rechte Gefahr, gegen die Regierung und gegen die Rolle des Verfassungsschutzes statt. Allein in München haben in diesem Jahr bereits dreimal Zehntausende gegen Staatsaufrüstung, soziale Ungleichheit und Militarismus protestiert. In Berlin beteiligten sich im Mai 70 000 Menschen an Protesten gegen eine AfD-Demonstration, zu der trotz bundesweiter Mobilisierung nur 2000 Rechtsradikale gekommen waren. Laut einer Umfrage des Spiegel vom Juli 2018 sehen zwei Drittel der Bevölkerung einen Rechtsruck in Deutschland und lehnen diesen ab.
Die AfD verfügt weder über eine massenhafte Anhängerschaft noch über schlagkräftige Einheiten wie einst die SA, die sich aus entwurzelten Weltkriegssoldaten, ruinierten Kleinbürgern und verzweifelten Arbeitslosen rekrutierte. Die Stärke der AfD ergibt sich ausschließlich aus der Unterstützung, die sie von Parteien, Medien, der Regierung und dem Staatsapparat erhält.
Als der braune Mob durch Chemnitz marodierte, stellte sich der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hinter die Nazis, leugnete in der Bild-Zeitung, dass es überhaupt Hetzjagden gegeben habe, und stellte im Stil rechter Verschwörungstheorien die Authentizität entsprechender Videos in Frage. Innenminister Horst Seehofer verkündete, er wäre selbst mitmarschiert, wenn er nicht Minister wäre, und ergänzte in bester AfD-Manier: »Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land.«
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht, den Maaßen vor der Veröffentlichung mit führenden AfD-Vertretern diskutiert hatte, werden die AfD und ihr rechtsextremes Umfeld (Pegida, Björn Höcke, Götz Kubitschek usw.) mit keiner Silbe erwähnt. Dagegen wird jeder als »linksextremistisch« diffamiert, der »gegen vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus« auftritt, gegen Rechtsextremismus protestiert oder darüber Informationen sammelt. Die Sozialistische Gleichheitspartei, die eine führende Rolle im Kampf gegen die Rechten spielt, wird erstmals als »linksextremistische Partei« und als »Beobachtungsobjekt« gelistet.
Die einzelnen Kapitel des vorliegenden Buches befassen sich detailliert mit der Rolle von Akademikern, Medien, politischen Parteien und Staatsapparat beim Aufbau und der Stärkung der AfD. Es ist nicht vom Standpunkt eines neutralen Beobachters geschrieben, sondern als Beitrag zum Kampf gegen die Wiederkehr von Militarismus und Faschismus. Es soll dazu beitragen, dass die Nürnberger Prozesse dieses Mal geführt werden, bevor es zur Katastrophe kommt, und nicht erst danach.
Der Autor war an den im zweiten Kapitel beschriebenen Auseinandersetzung an der Berliner Humboldt-Universität als langjähriger Sprecher der trotzkistischen Jugendorganisation IYSSE und stellvertretender Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) aktiv beteiligt. Das ist kein Manko. Angesichts der enormen gesellschaftlichen Spannungen lässt sich ein solches Buch nur in der Form einer Polemik schreiben.
Als die SGP und ihre Jugendorganisation, die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), den Humboldt-Historiker Jörg Baberowski 2014 öffentlich kritisierten, weil er Hitler im Spiegel bescheinigt hatte, er sei nicht grausam gewesen, stießen sie in ein Wespennest. Die Leitung der Universität, zahlreiche Professoren und alle großen Zeitungen entfesselten eine wüste Kampagne gegen die IYSSE und verteidigten den rechtsradikalen Professor. Das änderte sich auch nicht, als ihm das Oberlandesgericht Köln bescheinigte, dass die Bewertungen »rechtsradikal«, »rassistisch« und »gewaltverherrlichend« legitim seien, und Baberowski auch in tagespolitischen Fragen mit offen rechtsradikalen Standpunkten an die Öffentlichkeit trat.
Der Aufstieg der AfD und der scharfe Rechtskurs der Bundesregierung wären ohne eine reaktionäre Offensive an den Universitäten nicht denkbar gewesen, und die Humboldt-Universität spielte dabei eine zentrale Rolle. Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren die Universitäten in den Dienst des Militarismus gestellt worden, indem Nationalmythen erfunden und entwickelt wurden. Vor dem Zweiten Weltkrieg spielten Geschichtsfälschungen wie die Dolchstoßlegende eine zentrale Rolle bei der Wiederbelebung des Militarismus. Heute müssen die Herrschenden in Deutschland die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte relativieren und verharmlosen, um erneut an die Ziele zweier Weltkriege anknüpfen zu können.
Der Text dieses Buches stützt sich in weiten Passagen auf Material, das im Zuge der Auseinandersetzungen entstand. Er ist das Produkt einer kollektiven Arbeit, die der Autor zusammengetragen und kommentiert hat. Daher sind in den Text viele Formulierungen aus Erklärungen der IYSSE, der SGP und Artikeln der World Socialist Web Site eingeflossen, ohne dass sie als Zitate kenntlich gemacht sind. Als Co-Autoren genannt seien hier insbesondere Peter Schwarz, Johannes Stern, Ulrich Rippert und Sven Wurm, die viele dieser Texte verfasst haben. Der Kampf gegen Nationalismus erfordert eine internationale Orientierung und die enge Zusammenarbeit mit Genossen auf der ganzen Welt. Ohne die zahlreichen Diskussionen mit ihnen und insbesondere mit David North, dem Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzenden der Socialist Equality Party (SEP) in den USA, wäre nicht nur dieses Buch, sondern die ganze Initiative gegen die Rückkehr des deutschen Militarismus nicht möglich gewesen.
Ian Kershaw, Hitler 1889–1936, Stuttgart 1999, S. 473.
Ebd., S. 526 und S. 502.
Leo Trotzki, Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus, 13.11.1929, http://www.mlwerke.de/tr/1929/291113a.htm, aufgerufen am 28.8.2018.